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Die Angst der Jazzsänger vor dem Blues

Cassandra Wilson liegt mit ihrer Musik längst quer zu allen Kategorien. Heute Abend spielt sie auf der Museumsinsel

Weiß gestrichene Holzhäuschen reihen sich entlang der staubigen Straße, die zum Güterbahnhof führt. „Welcome to Clarksdale“ steht auf einer der Eisenbahnbrücken. Auf den in Sepia gehaltenen Fotos des Covers wandert der Blick von den silbern bemalten Augenlidern hinunter zu dem ernsten Mund und weiter bis zum Hals. Dorthin, wo diese tiefe Stimme herkommt, die immer leicht erkältet wirkt.

Das Jazzgefühl stellt sich beim Hören der Platten von Cassandra Wilson nicht wirklich ein: keine Soli, keine Blasinstrumente wie Saxofon oder Posaune. Und auf ihrer neuen, nach dreijähriger Pause erschienenen Platte „Belly Of The Sun“ spielt Olu Dara seine sparsame Trompetenbegleitung mehr als Kommentar aus dem Hintergrund. Sie singt von „Gerechtigkeit“, „Schutz“ und „Dunkelheit“ und ist dabei nicht auf die übliche Stimmwirkung bedacht, auf Laszivität oder Klischees von der Sinnlichkeit tiefer Töne. Traditioneller Folk-Elemente und ihr zum Teil an Country & Western erinnernder Gesang boten immer wieder Angriffsflächen. Nach wie vor bedingen die Vermarktungsklischees der Plattenindustrie: Schwarz gleich Jazz. Und die Hörgewohnheiten des Jazz richten sich nach bestimmten Regeln von rhythmischer Betonung und Instrumentierung. So wählte sie das Time Magazine zur „Besten Sängerin“ und ließ dabei vorsichtig den Zusatz „Jazz“ weg.

Cassandra Wilson empfindet sich dagegem unbedingt als Jazzsängerin. Sie arbeitet auf der Ebene von Improvisation und dem vorsichtigen Ineinandergreifen instrumentaler Sounds, in die ihre Stimme sich sanft einfügt, und umgekehrt. Ihr Repertoire besteht dabei aus Songs von Joni Mitchell, Bob Dylan oder Robert Johnson. Sie spricht von der Angst des Jazzmusikers vor dem Blues. Von der emotionalen Verletzlichkeit des Materials, bei der man sich nicht auf das übliche Jazzvokabular verlassen kann. „Viele Jazzmusiker fühlen sich sicherer, wenn sie eine akademische Distanz zum Blues wahren.“

„Belly Of The Sun“ sollte ein Blues-Album werden, aufgenommen in einem alten Zugdepot in Clarksdale, Mississippi. Unweit von Jackson, wo die 46-jährige Sängerin aufwuchs. Sie erinnert sich, dass sich ihr Leben als Kind immer draußen abspielte. „Da war diese Nähe zur Natur, die wir African Americans verloren haben. Wir sind auf gefährliche Weise urbanisiert worden.“ „Unsere Kinder“, sagt sie. Und dass sie von Konkretem umgeben seien, wo sie Natur bräuchten und Weite. Im College las sie Camus und Hegel und gründete eine Band mit der Gitarristin Rhonda Richmond. Vor zwei Jahren traf sie Richmond wieder und war so begeistert von deren Songs, dass sie ihre eigene Plattenfirma Ojah Records gründete, um ein Album ihres damaligen Bandmitglieds herauszubringen. Rhonda Richmond ist auch auf „Belly Of The Sun“ dabei. In Clarksdale entdeckte Cassandra Wilson den inzwischen verstorbenen 81-jährigen Bluespianisten Abie „Boogaloo“ Ames wieder, mit dem sie „Darkness in the Delta“ als unbegleitetes Duett aufnahm. Es ist ein Anhalten der Zeit. Die Rückkehr des ewigen Blues. Für das Duett mit India Arie schrieb sie den Song „Just Another Parade“. Arie gehört neben Jill Scott und Norah Jones zu den neuen Stars des so genannten „New Folk“. Ein Begriff, den wohl niemand so sehr als Subgenre geprägt hat wie Cassandra Wilson selbst.

Cassandra Wilson heute auf der Museumsinsel. Einlass ab 18 Uhr, Beginn 20.30 Uhr

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