: Der hohe Preis der Politik
Die Studentenvertreter der HU dürfen sich ausschließlich zur Hochschulpolitik äußern. Sonst drohen ihnen Ordnungsgelder von bis zu 250.000 Euro. Gericht: Gesetzesnovelle ändert Rechtslage nicht
von DANIEL SCHULZ
Studentenvertreter dürfen nicht über den Tellerrand der Uni gucken. Gestern ist der Allgemeine Studierendenausschuss der Humboldt-Uni, dort ReferentInnenrat (RefRat) genannt, wegen allgemeinpolitischer Betätigung verurteilt worden. Das Verwaltungsgericht gab einer Klage von neun Studenten gegen die vom RefRat vertretene Studentenschaft statt. Zur Begründung sagte der Vorsitzende Richter, dass der RefRat laut Berliner Hochschulgesetz „nur Kompetenzen im hochschulpolitischen Rahmen besitzt“. Weil jeder HU-Student Zwangsmitglied in der Studierendenschaft sei, würde dessen Handlungsfreiheit durch eine allgemeinpolitische Tätigkeit des RefRats verletzt.
Geklagt hatten die vor allem aus konservativen und liberalen Hochschulgruppen kommenden Studenten bereits vor drei Jahren. Anlass waren mehrere Artikel zum Kosovokrieg in von der Studierendenschaft unterstützten Zeitungen. Zudem hatte der RefRat eine Veranstaltung linker StudentInnengruppen zum Jugoslawienkrieg angekündigt. Dies ist nun verboten, bei Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von bis zu einer Viertelmillion Euro.
„Ein solches Urteil war leider zu erwarten“, sagte Oliver Stoll, Referent für das Politische Mandat an der HU. „Offensichtlich war die Entscheidung auch schon vorher gefallen, denn die Richter sind nicht mit einem Satz auf das eingegangen, was wir vorgetragen haben.“ Der RefRat hatte in der Verhandlung betont, dass er eine Trennung von Hochschul- und allgemeiner Politik für absurd halte. So sagte Sven Glawion, stellvertretender Sprecher des RefRats, man wolle, um gegen Neonazis zu demonstrieren, nicht warten, „bis ein immatrikulierter NPD-Anhänger auf dem Unihof zuschlägt“.
Außerdem argumentiert der RefRat, dass die vom Bundestag Anfang Juli beschlossene, aber noch nicht rechtskräftige Änderung des Hochschulrahmengesetzes den Studentenvertretungen mehr Rechte zuspricht. Diesen Einwand wies das Gericht jedoch zurück. Auch nach In-Kraft-Treten der Gesetzesnovelle sei ein allgemeinpolitisches Mandat ausgeschlossen.
Unterstützt wird der RefRat von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Deren Landesvorsitzender Ulrich Thöne kritisierte „die permanenten Versuche bestimmter Gruppen, die Arbeit der Studierendenschaften zu kriminalisieren“.
„Selbst der Kampf gegen Nazis muss mit rechtsstaatlichen Mittel geführt werden“, hält Mitkläger Tim Peters dagegen. Nach Ansicht des früher im Ring Christlich Demokratischer Studenten aktiven Studenten instrumentalisiert der RefRat den Rechtsextremismus, um seine Positionen durchzudrücken.
Um das allgemeinpolitische Mandat wird seit mehr als dreißig Jahren gekämpft. Legendär ist ein Spruch des Landgerichts Sigmaringen von 1968. Dieses verurteilte die Tübinger Studierendenschaft für eine Solidaritätsadresse zum Tod Benno Ohnesorgs an die FU mit den Worten: „Nicht jeder Tod eines Studenten ist hochschulbezogen.“
Gegen das gestrige Urteil will der RefRat Beschwerde einlegen. „Wir haben die besseren juristischen Argumente, und die wird ein Gericht in zweiter Instanz sicherlich anders bewerten“, hofft Eberhard Schultz, Rechtsanwalt des RefRats. Nötigenfalls wolle man bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.
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