: Frauen fehlt der Mut zur Macht
In der Werbung bügeln inzwischen auch Männer, doch in der Gesellschaft gilt noch immer: Karrierefrauen sind unsympathisch. Es liegt an den Frauen, das zu ändern
Die Rolle der Frau wird seit knapp zweieinhalb Jahrhunderten abgeschafft – etappenweise und mit Rückschlägen. Jeder Rückschlag birgt aber die Chance, Versäumtes zu erkennen, um bei der nächsten Etappe ein weiteres Stück an persönlicher, politischer und wirtschaftlicher Macht zu erwerben. An die Chance des Rückschlags zu erinnern scheint nötig, denn die Untertöne des (Selbst-)Mitleids mehren sich.
Jede dritte Frau bleibt heute kinderlos. Diese Tatsache wird schnell zum Makel: Viele der Betroffenen sehen sich als Versagerinnen, bedauern, nicht „den Richtigen“ gefunden und sich in den entscheidenden Jahren ganz dem Beruf gewidmet zu haben. Gerne wird in den Medien darauf hingewiesen, dass die letzten drei Jahrzehnte den Frauen zwar Stressjobs mit Arbeitszeiten von 12 bis 14 Stunden eingebracht haben, doch gesellschaftlich anerkannt, gar glücklich, seien sie deshalb noch lange nicht.
Es wird aus Studien und Interviews zitiert, in denen die Befragten ihre neue, spezifisch weibliche Einsamkeit beklagen und bestätigen, dass eine Frau „mit Kind und Mann“ immer noch viel höher in der Werteskala stehe als eine Alleinstehende. Kinderlose Frauen, die beruflich erfolglos seien, müssten mit dem Stigma der gescheiterten Existenz leben. Mag sein, dass berufstätige, kinderlose Frauen subjektiv tatsächlich von Gefühlen der Einsamkeit, des Versagens und der Schuld heimgesucht werden oder dass ein gesellschaftliches Überich auf der Lauer liegt, um ihnen stets ihre Ungenügsamkeit weiszumachen. Solche Befunde bewegen sich aber im Subjektiven und können, je nach Zeitgeist, manipuliert werden. Das Einzige, was aus ihnen objektiv hervortritt, ist eine spezifisch weibliche Verhaltensstruktur: Frauen weigern sich, ihre eigenen Leistungen zu schätzen oder andere Frauen aufzubauen, die mit denselben Minderwertigkeitskomplexen kämpfen. Vielmehr wollen sie auch bei diesen das eherne Gesetz bestätigt sehen, wonach Frauen trotz größten Einsatzes am Ende nicht erfolgreich sein können.
Dabei haben Frauen in den letzten drei Jahrzehnten Mut ohnegleichen gezeigt. Hierzu gehören nicht nur die Euphorie des feministischen Aufbruchs und das damit verbundene veränderte Selbstbewusstsein. Mindestens ebenso wichtig für die eigene Entwicklung sind die vielen negativen Grenzerfahrungen, vor allem die Auseinandersetzung mit einer Arbeitswelt, die von männlichen Strategien geprägt ist. Gegen allen Widerstand forderten Frauen Ebenbürtigkeit in puncto Behandlung, Bezahlung und Anerkennung.
Es handelte sich um ein völlig neues Paradigma, mit dem keine Frauengeneration je zuvor kollektive Erfahrungen gemacht hatte. Frauen ließen sich auf etwas ein, dessen Erfolg oder Scheitern sie nicht vorher abschätzen konnten. Eine kritische Bestandsaufnahme ist immer angebracht – aber, bitte, keine, die Frauen mutlos macht und sie ins angebliche Mutterglück als angemessene Lebensform zurücktreibt. Sie sollte vielmehr einkalkulieren, dass jedes Wagnis mit Risiko, Rückschlag und Verlust verbunden sein kann – und es gerade deshalb auch honorieren.
Die Frauenbewegung muss endlich ein positives Verhältnis zum Erlangen, Ausüben und Erhalten von Macht entwickeln. Statt sich einzugestehen, dass Macht zuallererst die Bereitschaft voraussetzt, zu bestimmen – auch über andere –, verfing sich die Frauenbewegung in moralischen Debatten über Gerechtigkeit. In diesen war das Orientierungskriterium nicht die Stärke, sondern die Schwäche: Erhöht werden sollte nicht der Status der starken, unabhängigen und mächtigen Frau, sondern der der schwachen, sozial schlechter gestellten, ohnmächtigen Frau. Die Bewegungsfrauen hingen der Illusion an, eine Gesellschaft ohne die Härten der Machtausübung sei möglich.
Die Konsequenz ist, dass feministisch motivierte Frauen meist nicht machtbefähigt sind. Gleichzeitig hat sich gerade unter so genannten starken Frauen in den letzten Jahren ein kollektives Gefühl des Alleingelassenseins breit gemacht. Sie besaßen den Mut, das Neuland existenzieller Unabhängigkeit zu betreten – mit allen persönlichen und psychischen Folgen, die dazugehören.
Ihre scheinbar individuell verursachte Einsamkeit wird nun jedoch genüsslich aufgegriffen, um das in Jahrtausenden gezüchtete weibliche Grundgefühl der Unzulänglichkeit abermals zu bestätigen. Der Rückfall vom einstmals mutigen Aufbruch in selbstquälerische Verzagtheit spiegelt sich auch in der Entwicklung der Frauenbewegung wider. Aus der politischen Frauenbewegung wurde erst eine Sozial-, dann eine Therapiebewegung.
Die Männer sind hierfür nur bedingt verantwortlich. Natürlich lässt sich einwenden, dass den Frauen auf dem Weg zur Macht finanzielle, politische und psychische Voraussetzungen fehlen. Letztlich geht es aber zunächst um einen grundsätzlichen Willen zur Macht, wie ihn historisch alle um ihre Rechte kämpfenden Bevölkerungsgruppen – ob als Bürgertum oder als Proletariat – erst einmal haben müssen. Jede Frau, die heute ihren Willen zur Macht aus einer Position der Stärke heraus äußert, weiß, dass die Widerstände gegen sie nicht allein von Männern ausgehen. Sie erfährt ebenso massive oder subtile Feindseligkeiten von Frauen.
Mit Empfindungen wie Konkurrenz, Neid oder soziales Ressentiment ist unter Frauen bisher kein angemessener Umgang entwickelt worden. Statt sich gegenseitig im Anspruch auf persönliche, politische und wirtschaftliche Macht zu bestärken, neigen viele Frauen zu einem kollektiven Selbstverständnis, wonach alle Opfer der Unterdrückung durch Männer bleiben sollen. Die eine soll bloß nicht die andere verletzen, indem sie besser, erfolgreicher, stärker ist. Sie soll bloß nicht aus der Reihe scheren und sich den Vorwurf einhandeln, machtgeil zu sein.
Es ist höchste Zeit, eine Debatte über Tugenden und Werte machtbewusster, feministischer Frauen zu führen. Wie virulent das Ressentiment gegen kinderlose, viel arbeitende und erfolgreiche Frauen ist, zeigt die häufige demonstrative Nichtanerkennung, die „Nurhausfrauen“ äußern: „Du weißt ja gar nicht, wie schwer das Leben mit Kindern ist …“ Es ist die Frage, ob die vordergründige Solidarität mit solchen Frauen nicht endlich aufgekündigt werden sollte. Das ist keine Kampfansage an Mütter, wohl aber an alle, die das Muttersein gegen die berufliche Existenz auszuspielen versuchen.
Im Rahmen der erforderlichen Debatte muss daher ein Tabu berührt werden. Nämlich ob die Frauenbewegung ihren egalitären Tenor aufgeben und sich stattdessen als Elite definierten sollte, der es darum geht, Hemmungen vor der Macht abzubauen. Es gilt, Kriterien festzulegen: Wer gehört dazu und wer nicht? Wer verdient Solidarität und wer nicht? Mut bleibt dabei die oberste Tugend, oft geht sie mit Einsamkeit einher. Leider honorieren Frauen den Mut anderer Frauen zu wenig.
ELISA KLAPHECK
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