: Hibbelig und futuristisch
„Punk in London“: Ein Film, der auch nach 25 Jahren noch durch pragmatische Bilder und Direktheit beeindruckt
Am Wetter soll‘s ja auch gelegen haben, dass Punk in London seinen Anfang nahm. Im Sommer 1976 war es so heiß in Britannien wie 40 Jahre nicht mehr. Ideales Rebellionsklima, behauptet Jon Savage, der mit England‘s Dreaming das definitive Buch zum Thema geschrieben hat.
Dass die Nerven in den miefigen Mietskasernen und Reihenhäusern blank lagen und das Leben vor der Tür stattfand – diese merkwürdig aufgeladene Stimmung einzufangen, gelang auch dem Filmstudenten Wolfgang Büld ziemlich gut. Als einer der Ersten war er aufgebrochen, mit seinem Film Punk in London direkt vor Ort mit den Punks zu sprechen. Dass das unsensationalistisch über die Bühne gegangen ist, zeichnet den Film auch nach 25 Jahren noch aus. Denn Büld hat nicht nur Bilder von ergreifender Schlichtheit geschossen, sondern auch mit den richtigen Leuten gesprochen. Außerdem sind da noch Original-Aufnahmen von Live-Konzerten.
Damals konnte man Punkbands aus nächster Nähe erleben, vor den Clubs bildeten sich lange Schlangen. Drinnen spielten Chelsea, Clash, Lurkers, X-Ray Spex und wie sie alle hießen. Seltsam verwackelt und übersteuert sind die Aufnahmen zwar, doch liegt auch heute noch eine seltsame Aura über den Bildern: Einerseits ist der Punk-Alltag bleiern langsam. Die pogende Menge im Marquee-Club mutet im Zeitalter des Stadionpunk auch recht niedlich an.
Andererseits passen die Interviewten gar nicht vor die bunten Tapeten der Siebziger. Sie sind ungeduldig, ungewaschen, ungeniert. Zu hibbelig und zu futuristisch für ihre Zeit. Denn Punkrock war erfrischend anders. Roadent, der Roadie von Clash, begreift seine Arbeit als politisch. Er zitiert den jamaikanischen Sänger Big Youth und verweist auf die Frauen-Punkband Slits. Wir sehen auch die Verkäufer des frisch eröffneten Plattenladens Rough Trade, wie sie enthusiastisch über die Anfänge des Do-it-yourself-Wesens erzählen. Und wir lernen Arturo kennen, den Bassisten der Lurkers. Eingerahmt von seinen völlig verblüfften Eltern, zählt er die Jobs auf, in denen er sich vor dem Punkrock versucht hat: Zeitungsausträger, Maurer, Lackierer und Eisverkäufer. Eis essen mag vielleicht auch, wer sich bei hoffentlich großer Hitze Punk in London als guten sauberen Open Air-Kinospaß im bislang eher flauen Sommer 2002 angucken geht.
Julian Weber
Punk in London: 18.+21.7., 20.30 Uhr, B-Movie. 20.7. 22 Uhr, Terrasse der Jugendherberge Landungsbrücken (Stintfang)
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