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Der Mann, der sich nicht kannte

Rudolf Scharpings Bild in der Öffentlichkeit widersprach immer seinem Wunschbild von sich selbst. Dagegen kämpfte er bis zur Demütigung

aus Berlin BETTINA GAUS

So tief wie Rudolf Scharping ist in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte kaum je ein Politiker gefallen. Als am Ende seiner politischen Karriere gestern kein Zweifel mehr bestand, da gönnten ihm die Nachrichtenagenturen nicht mal mehr das gnädig verhüllende Wort vom „Rücktritt“. Stattdessen: „Ablösung“. Der Mann wird also gefeuert, der noch im Laufe dieser Legislaturperiode gehofft hatte, den Kanzler beerben zu können.

Nach dem missglückten Start der rot-grünen Regierung zählte Gerhard Schröder im Herbst 1999 zu den unbeliebtesten Politikern der Republik – Scharping hingegen war über Monate der populärste Repräsentant der Sozialdemokraten. Öffentlich hat er niemals eingeräumt, dass er nur auf eine neuerliche Chance gewartet hat. Aber alle wussten es. Und es war ja auch nicht unverständlich. Schließlich hatte er in den Jahren zuvor mehr Demütigungen über sich ergehen lassen müssen als fast alle seiner Kollegen. Gescheitert als Kanzlerkandidat, weggeputscht als Parteichef und gegen den eigenen Willen aus dem Fraktionsvorsitz ins Verteidigungsministerium gehievt: Was hätte verständlicher sein können, als dass Scharping sich nach später Genugtuung sehnte?

Das galt umso mehr, als gerade er einen wesentlichen Aspekt des Erwachsenwerdens nie bewältigt zu haben scheint: die Akzeptanz der Kluft zwischen dem Wunschbild von sich selbst und dem Bild, das die Umgebung von einer Person hat. Scharping sind im Laufe der Jahre viele positive Eigenschaften bescheinigt worden. Verlässlichkeit, Fleiß, die Fähigkeit zur Loyalität, Anstand, Verantwortungsgefühl. Nie aber wurde er als der Mann beschrieben, der er offensichtlich gerne hätte sein wollen: als Charismatiker nämlich, als humorvoll, als elegant, als Charmeur und als Homme à Femmes. Vor diesem Hintergrund ist es nur scheinbar eine Ironie, dass der stets als hölzern und bieder beschriebene Minister ausgerechnet über seine Verbindung zu einem PR-Berater gestolpert ist.

Auf dem Weg zu dem – nie erreichten – Ziel, sein Image im eigenen Sinne positiv zu verwandeln, brachte er sich Schritt für Schritt um alle positiven Attribute. Der Öffentlichkeit dürfte vor allem die politische Instinktlosigkeit im Gedächtnis bleiben, mit der er zu einem außenpolitisch besonders heiklen Zeitpunkt peinliche Urlaubsfotos von sich und seiner Lebensfährtin veröffentlichen ließ. Im eigenen Ministerium aber galt dies allenfalls als Tüpfelchen auf einem sehr großen i.

Als „Witzblattfigur“ hat ihn der Chef des Bundeswehrverbandes bezeichnet. Zwar empfanden die meisten Offiziere dies als ungehörig – aber dennoch nicht als falsch. Seit vielen Jahren ist keinem anderen Verteidigungsminister so offener Widerstand entgegengebracht worden wie Rudolf Scharping. „Hier herrscht ja fast eine Putschatmosphäre,“ sagte ein langjähriger Militärexperte während der letzten Kommandeurstagung der Bundeswehr, auf der in ganz ungewöhnlich offener Weise deutliche Kritik an der Amtsführung des Ministers geübt wurde.

Für diese Kritik gab es allen Anlass. Keine fachliche Herausforderung der letzten Jahre hat Rudolf Scharping souverän gelöst. Die strukturellen Probleme einer Bundeswehrreform, die aus den Verteidigungskräften eine allzeit bereite Interventionsarmee machen soll, wurden von ihm niemals grundsätzlich, sondern stets buchhalterisch in Angriff genommen. Jüngstes Beispiel: die Kontroverse um die haushaltsrechtliche Grundlage für die Beschaffung des neuen Transportflugzeuges A 400 M, bei der er sich stets am Rande des Rechts bewegte.

Diese Art der Flickschusterei hatte Tradition bei Scharping. Gegenüber Finanzminister und Bundeskanzler konnte er sich mit Etatforderungen nicht durchsetzen. Mehr Geld halten alle Nachfolger, die jemals im Gespräch waren, für nötig – ein Grund, warum Schröder sich bislang mit der Suche nach einem Ersatz für den glücklosen Verteidigungsminister so schwer getan hat. Scharping selbst hat allerdings nie ernsthaft damit gedroht, die Brocken einfach hinzuschmeißen. Stattdessen hoffte er unbeirrt auf Veräußerungsgewinne aus Liegenschaften der Bundeswehr. Vergeblich.

Wer die Militarisierung der Außenpolitik grundsätzlich ablehnt, für den war Scharping in den letzten Jahren ohnehin ein noch röter gefärbtes Tuch als die meisten seiner Kabinettskollegen: Schließlich hat er wie kaum ein anderer die Entscheidung für Bundeswehreinsätze auch mit emotionalen Appellen zu untermauern versucht, die sich beispielsweise im Kosovokrieg auf dubiose Behauptungen wie die eines angeblichen Hufeisenplanes für ethnische „Säuberungen“ stützten. Lüge, Fälschung und Manipulation ist ihm deshalb öffentlich vorgeworfen worden. Scharping hat trotz großer Bemühungen nie eine Möglichkeit gefunden, sich dagegen zu wehren. Ob Offizier oder Pazifist: die Zahl jener, die ihm nachtrauern, ist gering.

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