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Verteidigung bis ganz zuletzt

Noch einen Skandal konnte Gerhard Schröder in diesem Wahlkampf nicht gebrauchen – und ließ Scharping fallen. Der kann dies gar nicht verstehen

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Gequälte Lässigkeit war sein herausragender Charakterzug. Darin bleibt sich der Mann treu bis zum Schluss. Sein Kanzler und Parteichef hat ihn soeben einberufen zur Abberufung. Doch Rudolf Scharping steht in der Empfangshalle des Willy-Brandt-Hauses, als wäre seine Welt in Ordnung: Die Linke in der Hosentasche, blickt er scheinbar neugierig auf einen Werbeständer mit SPD-Wahlplakaten. „Arbeit zählt“ steht auf dem einen Zettel, „Leistung zählt“ auf dem anderen. Genauso hat er sich immer gesehen – bis zuletzt. „Beliebig in den Medien aufgestellte Behauptungen sind kein Anlass für einen Rücktritt“, hatte er noch kurz vor der Fahrt zur Sondersitzung des SPD-Parteipräsidiums erklärt. Dann kommt der Fahrstuhl – und ein letzes Mal geht es für Rudolf Scharping aufwärts.

Sein Schicksal wurde schon am Abend zuvor in Hannover besiegelt. Dort saßen die vier Männer beisammen, die sich immer treffen, wenn es ernst steht um ihre Partei, ihre Regierung oder das Land: Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier, SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, Fraktionschef Peter Struck und ihrer aller Chef, Gerhard Schröder. Wer fehlte, war Scharping. „Natürlich war er eingeladen“, beteuern Sozialdemokraten, die es wissen müssen. Nur gekommen sei er eben nicht. „Da sind wir wieder bei seiner Uneinsichtigkeit.“ Wieder – das ist das Schlüsselwort zum Verständnis aller Vorgänge der letzten 48 Stunden.

Der Wiederholungstäter

Niemand behauptet ernsthaft, der Verteidigungsminister habe gegen bestehende Gesetze verstoßen. Nicht einmal das Magazin Stern geht so weit, obwohl dessen groß aufgemachte Geschichte über die Honorarzahlungen des PR-Agenten Moritz Hunzinger an Scharping den Rauswurf auslöste. Dem Minister wurde sein Ruf als Wiederholungstäter zum Verhängnis. „Der hatte einfach keinen mehr gut“, heißt es in der Fraktion. Schon am Montag, als eine Geschichte mit ähnlichen Vorwürfen in der Süddeutschen Zeitung erschien, sei Gerhard Schröder alarmiert gewesen, berichten seine Vertrauten. Noch am Abend rief der Kanzler Struck und Müntefering an. Was auch immer Scharping seinem Chef in den folgenden 24 Stunden erzählt hat, es hat Gerhard Schröder nicht gereicht. „Der wird handeln heute“, schwante einem Genossen am gestrigen Vormittag, „der wird handeln müssen.“

Muss er oder kann er? Längst ist das die eigentliche Frage: Ist Gerhard Schröder in dieser Causa ein Getriebener? Oder setzt hier der Meister der Überraschung zum großen, vielleicht letzten Befreiungsschlag dieses Wahlkampfs an? Zwei Wochen der Katastrophenmeldungen liegen hinter ihm und seiner Koalition: die verheerenden Arbeitslosenzahlen, die trotz der guten Jahreszeit keine Trendwende markierten, die Pleite von Babcock-Borsig und dann die persönliche Blamage des Kanzlers bei der verschleppten Suche nach einem neuen Telekom-Chef.

Die Runde am Mittwochabend in Hannover musste darum nicht nur die Härte der Stern-Vorwürfe abwägen, sondern eine pragmatische Überlegung anstellen: Welchen Nutzen beschert ein Rauswurf des Verteidigungsministers der SPD im Wahlkampf? Mit Ministerentlassungen hat Schröder sich schon immer schwer getan, schwerer auch, als es die Zahl von sieben Abgängen in vier Jahren vermuten ließe. Trotzdem hat er in der Summe stets eher profitiert, sei es beim Wechsel von Lafontaine zu Eichel oder von Funke zu Künast. Dagegen stand eine Gefahr, die angesichts der Persönlichkeit des Verteidigungsministers real ist: dass Scharping den Ron Sommer spielt.

Versuch eines Befreiungsschlags

In der SPD war das Flehen deutlich zu vernehmen, Scharping möge sich und der Partei ein Drama ersparen. „Der Mann war mal Kanzlerkandidat, der Mann war mal Parteivorsitzender“, seufzte gestern noch ein Sozialdemokrat, „der weiß doch, wir können nicht sechs Wochen lang jeden Tag eine Pressekonferenz zu seiner Verteidigung abhalten.“ Letztendlich wollte sich Schröder auf die plötzliche Einsicht eines ewig Uneinsichtigen nicht verlassen. Der Minister drückt es wenig später anders aus: „Werde ich abgelöst, gehe ich mit erhobenem Haupt und aufrechtem Gang.“

Der Abschied war ein Rauswurf: kein gemeinsamer Auftritt, kein Händedruck, kein Dank. „Die notwendige Basis für eine gemeinsame Arbeit in der Bundesregierung ist meiner Ansicht nach nicht mehr gegeben“, erklärt der SPD-Vorsitzende um halb vier. Den Bundespräsidenten habe er um die Ernennung von Peter Struck zum Verteidigungsminister ersucht. Angesichts der Bedeutung der Medien im Niedergang des Rudolf Scharping bleibt eine ironische Note. So überraschend trat der Kanzler mit seinem Statement vor die Kameras, dass kein Sender live senden konnte.

Der Befreiungsschlag ist Schröder dennoch nicht geglückt. Zu dünn war, wie schon im Fall Sommer, die Personaldecke, um einen überzeugenden Nachfolger präsentieren zu können. Dass das Quartett von Hannover auf einen der Eigenen zurückgreifen musste, signalisiert mehr als alles andere: Der SPD gehen die Minister aus. Und dabei stehen die nächsten vier Jahre noch vor der Tür.

Rudolf Scharping beendet den Tag jedenfalls zu seinen eigenen Konditionen. Ein letztes Mal wirft er sich in die Pose des Herrn über alle Emotionen und Armeen. Eine Stunde nach dem Kanzler stellt sich der Minister im Bendler-Block des Verteidigungsministeriums ans Rednerpult. „Lasst doch die Leute da rein“, mahnt er, „können Sie da nicht ein bisschen Platz machen?“ So sieht er sich selbst: Noch im Sturz tritt er ein für die, die ihn zu Fall brachten: die Öffentlichkeit und ihre journalistischen Vertreter. Bei seinem Untergang sollen alle einen Logenplatz bekommen.

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