: Direkt im Dialekt
Seit 25 Jahren nimmt Radio Bremen die hochdeutsche und hochnüchterne Nachrichtensprache auseinander. Für die Mitarbeiter ist es ein „diebisches Vergnügen“, das Weltgeschehen unverblümt auf platt zu erzählen
Die Friedensbemühungen im Nahen Osten – das war nicht nur die Topmeldung vor 25 Jahren, sondern die erste Nachricht überhaupt, die Radio Bremen auf Plattdeutsch übersetzt über den Äther schickte. Zum Runden Geburtstag der Dialekt-Nachrichten sprach die taz mit Redakteurin Gesine Kellermann über die Anfänge und Zukunftschancen des Niederdeutschen.
taz: Inzwischen haben sich die plattdeutschen Nachrichten zur festen Größe entwickelt. Aber wie war das vor 25 Jahren?
Kellermann: Das war ein Experiment, von dem man gar nicht ahnte, wie es ausgehen würde. Die ersten Nachrichten haben wir noch off-air gemacht, um zu gucken, ob man die trockene deutsche Nachrichtensprache überhaupt ins Plattdeutsche bringen kann.
Offenbar mit Erfolg.
Ja, das hat geklappt. In den ersten Jahren haben wir immer dienstags und freitags plattdeutsche Nachrichten gebracht. Nach und nach wurde das zu einer Institution. Seit 1995 senden wir auch von montags bis freitags. Und seit 1998 sind wir im Internet.
Was hat einen denn vor 25 Jahren geritten, ausgerechnet Nachrichten auf Platt zu machen?
Dazu gehört die Geschichte von zwei Personen: der damalige Nachrichtenchef Kurt Nelhiebel war nicht des Plattdeutschen mächtig, aber der Nachrichtensprecher Gerd Mindermann. Und der hat, wenn er sich die Nachrichten abholte, rumprobiert, das mal auf plattdeutsch zu sagen. Daraus ist dann bei beiden die Idee geboren.
Wer gehört denn zu den regelmäßigen Lauschern der Platt-Nachrichten: 65-Plusser oder auch jüngere?
Alle. Also gerade vor einer Woche bekam ich eine mail von einem 20-jährigen Norddeutschen, der jetzt in Berlin wohnt und sich morgens die plattdeutschen Nachrichten im Internet anhört. Heute kam Post von einem 64-Jährigen, der nun seit 25 Jahren zuhört. Die meisten der Internet-Fans oder ihre Vorfahren kommen auf irgendeine Weise aus Norddeutschland.
Und die hören das, weil ...
Um zu erfahren, was in der norddeutschen Region passiert. Schließlich machen wir immer auch regionale Nachrichten. Und weil es der heimatliche Klang ist: Das Norddeutsche im Ohr zu haben, das so ein bisschen an die Kindertage erinnert.
Wie viel Arbeit macht das Umschreiben der Nachrichten auf platt?
Also für drei bis vier Minuten Nachrichten braucht man anderthalb Stunden für die Übersetzung.
Ist das so schwierig?
Na. Das Problem sind vor allem die abstrakten Dinge: Wenn wir zum Beispiel eine Nachricht haben, dass im Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven etwas Neues entdeckt worden ist, dann wird es problematisch: Wie formuliere ich die Wissenschaftsbegriffe um?
Beispiele?
Ein typischer hochdeutscher Nachrichtensatz klingt vielleicht so: „Bei der gegenwärtigen emotionalen Debatte, kann in der Öffentlichkeit nicht ausreichend differenziert werden“. So was ist ungemein kompliziert in die niederdeutsche Sprache zu bringen.
Und zu entklausulieren.
Ja, Niederdeutsch ist viel direkter. Es macht einen diebischen Spaß, diese hochdeutsche Sprache auseinanderzupflücken und zu gucken, was steckt eigentlich dahinter.
Was war das schwierigste?
Es war schon sehr schwierig am 11. September die Nachrichten zu übersetzen. Weil, bei vielen Menschen, die nicht plattdeutsch sprechen, leicht die Assoziation aufkommt, das klänge alles so „nett“. Das geht an so einer Stelle natürlich nicht.
Und bei neuen Worten, machen Sie Anleihen aus dem Holländischen?
Manchmal schon. Wir haben auch durchaus ein holländisches Wörterbuch im Schrank. Nur für Begriffe wie Terroristen, Homosexuelle nehmen die auch Fremdwörter anstelle von ureigenen niederländischen Worten. Richtig viele Ausdrücke gibt es im Niederdeutschen nur im Bereich des Wetters.
Wie werden denn wohl die nächsten 25 Jahre werden?
Das kann ich nicht vorher sehen. Aber das Interesse bei jungen Menschen ist außerordentlich groß, diese Sprache zu lernen. Und gute Wünsche für weitere 25 Jahre haben wir sowohl vom Tagesschau-Sprecher Jo Brauner als auch vom Intendanten hier. Man kann es sich einfach nur wünschen, dass es so weitergeht.
Fragen: Dorothee Krumpipe
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