: Das Kabinett der Unerfahrenen
In den Niederlanden verfügen die Mitglieder des neuen Kabinetts kaum über Regierungserfahrung. Sie geben sich meist zugeknöpft über ihre unmittelbaren Pläne, doch im Bereich innere Sicherheit soll auf jeden Fall aufgerüstet werden
aus Venlo HENK RAIJER
Wie sieht nach Auffassung der Niederländer ein Minister aus? Jedenfalls nicht so wie Herman Heinsbroek. Der trägt zwar exklusive Anzüge, aber nie weiße Hemden oder Krawatte. Hollands designierter Wirtschaftsminister, der wie seine drei Kabinettskollegen von der „Liste Pim Fortuyn“ (LPF) über keinerlei politische Erfahrung verfügt, geht seinen neuen Job locker an. Der 51-Jährige wurde durch den Verkauf seines Musikkonzerns Multimillionär. Gestern sagte er bei seiner Ankunft zu Gesprächen mit seinem neuen Chef in Den Haag, er werde bei der Vereidigung am Montag, „wenn die Königin darauf besteht“, eine Krawatte anlegen. „Prinzipien sind dazu da, dass man sie über Bord wirft“, so Heinsbroek.
Die rechtsliberale Koalition aus CDA (sechs Minister), LPF (vier) und VVD (vier) des künftigen christdemokratischen Premiers Jan Peter Balkenende (46) löst die acht Jahre amtierende Mitte-links-Regierung des Sozialdemokraten Wim Kok ab. Gut die Hälfte der 14 Minister im neuen Kabinett, unter ihnen nur eine Frau, kommen aus Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die Staatssekretäre haben kaum politische Meriten. Nur drei der 28 Amtsträger haben Kabinettserfahrung. Die anderen sind Industrielle, Anwälte, Immobilienmakler, Hochschullehrer. Sie begreifen sich als „Bereicherung“. Unvoreingenommen wolle man ans Werk. Marathonsitzungen im Parlament? „Nicht mit mir“, sagt Heinsbroek. „Wichtige Informationen stehen auf einem DIN-A4-Blatt. Ein Beamter, der nicht flott und präzise liefert, fliegt.“
Genau das hatte der Rechtspopulist und LPF-Gründer Pim Fortuyn, der bis zu seiner Ermordung zehn Tage vor der Wahl im Mai das politische Holland in seinen Grundfesten erschüttert hatte, gefordert. Fortuyn sollte gestern Abend exhumiert und soll heute im italienischen Provesano wieder bestattet werden.
Gefragt nachihren Plänen, geben sich sämtliche neuen Amtsträger vorerst zugeknöpft. Erst mal einarbeiten, heißt es, sehen, wie niedrig die Budgets bemessen sind. So mancher Newcomer reagiert nervös, oft auch naiv auf Fragen der Presse. Der designierte Umweltminister Kamp etwa antwortete auf die Frage, ob er überhaupt Ahnung von Umweltpolitik habe, dies werde sich ja bald herausstellen.
Angekündigt hat Balkenende unterdessen Maßnahmen in den Bereichen Kriminalitätsbekämpfung (mehr Polizei), Innere Sicherheit (Einsatz gesetzlich gestützter Überwachungstechnologie), Asylpolitik (beschleunigte Verfahren, zügige Abschiebung) und Gesundheitswesen (Abbau der OP-Wartelisten). Mehr Geld indes will er nicht bereitstellen. Im Gegenteil. Der für Asyl zuständige Minister soll mit 90 Prozent weniger auskommen. Pim Fortuyn lässt grüßen.
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