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Bioterror und Kaviar

aus Astrachan KLAUS-HELGE DONATH

„Mein Sonnenschein, ich hatte dich doch um Fisch gebeten, womit soll ich die Kinder ernähren? Mascha hat mir gestern 200 Rubel geliehen für Brot und Waschmittel. Sei so gut und lass uns wenigstens eine Kleinigkeit zukommen. Viel Erfolg, sieh dich vor, ich vermiss dich“, schrieb Lidia und drückte noch zwei hellrote Busserln aufs Briefpapier. Wolodja war seit zehn Tagen im Wolgadelta unterwegs, wie tausende Wilderer, die es auf Stör und Kaviar abgesehen haben. Den Brief seiner Frau trug der 26-Jährige in der Hosentasche, als die Inspektoren der Ökopolizei ihn fassten. Jetzt wartet er auf den Gerichtstermin, wie die meisten der 3.000 illegalen Fischer, die im Wolgadelta und vor der russischen Küste des Kaspischen Meers jedes Jahr festgenommen werden.

Die Störbestände am unteren Lauf der Wolga sind seit Jahren von der Ausrottung bedroht. Wurden vor 20 Jahren noch 17.000 Tonnen im Jahr gefischt, ist der legale Fang inzwischen auf 400 Tonnen geschrumpft. „Die Wilderer machen einiges wieder wett, sie holen das Zehn-, wenn nicht Fünfzehnfache raus“, schätzt Sergej Schijan, Leiter des Einsatzkommandos der BOIR, der Fischereiwacht in Astrachan, der Gebietshauptstadt mit 500.000 Einwohnern.

Schijan verkörpert den Typ nachdenklicher Draufgänger, äußerlich ähnelt er ein wenig Jack Nicholson. Seit anderthalb Jahren leitet er die BOIR. Ihr Stützpunkt liegt am Flüsschen Zarew, einem Seitenarm der Wolga. Drei Barkassen, zwei ältere Kajüten- und einige Motorboote gehören zur kleinen Flotte der Ökopolizei. „Den professionellen Wilderern sind wir hoffnungslos unterlegen“, meint Schijan. „Die machen sich über uns lustig. Wir geben Warnschüsse ab, und die tun so, als bemerkten sie uns nicht und machen sich nicht einmal aus dem Staub.“ Daher ist er stolz auf die beiden 200-PS-Außenbordmotoren, die er endlich bekommen hat, 8.000 Dollar das Stück.

„Wir sind für 900 Kilometer Nord-Süd-Ausdehnung zuständig, 120 Kilometer Reichweite mehr am Tag machen da schon etwas aus“, sagt Schijan. Manchmal ist seine Truppe im Delta oder auf der See zehn, 14 Tage mit unterwegs.

Seit Wladimir Putin Präsident ist, schenkt Moskau den Problemen der Ökopolizei etwas mehr Aufmerksamkeit, berichtet der Inspektor. Beseelt vom Erfolg der Antiterrorallianz, sagte Russland nun nicht mehr nur den Wilderern, sondern gleich dem „Bioterrorismus“ den Kampf an. Dabei erinnern die konfiszierten Boote nicht an Motorkreuzer arabischer Herkunft, eher sind es aufgemotzte Nussschalen.

Gestoppte Kontrolleure

Es geht mit sieben Mann Besatzung auf zwei Motorbooten auf der Wolga Richtung Norden. Sie beobachten seit einigen Wochen eine Wilderergruppe. Schon am Stadtrand von Astrachan stoppt eine Patrouille der Wasserschutzpolizei Schijans Truppe. Wer in der Mitte des Flusses treibt, der hier 300 Meter breit ist, und eine Leine über Bord hängt, könnte genauso gut ein Wilderer sein, der Fangleinen nach Beute überprüft. So kontrollieren die Kontrolleure die Kontrolleure. Keine Seltenheit, meist geschieht das zweimal am Tag. Die Atmosphäre ist zunächst gespannt, Papiere werden überprüft, doch dann verabschieden sie sich freundlich. „Je mehr Kontrolleure, desto weniger gibt es zu kontrollieren“, meint Schijan.

Eine Reihe staatlicher Institutionen sind an der Wacht beteiligt bis hin zu den Grenztruppen auf dem Kaspischen Meer. In den Augen der Wilderer ist der Fischinspektor, der größte Dieb und Schwarzmarktlieferant. „Sie nennen uns Wilderer, obwohl wir den geringsten Teil abbekommen, ein Prozent vielleicht“, sagt ein Verdächtiger später.

Schijan kennt die Vorwürfe, die Gerüchte, er sei nicht nur der Herr über den schwarzen Kaviar, sondern auch Chef des schwarzen Loches, in dem die Delikatesse verschwindet. Es sind unbewiesene Behauptungen, und Schijans Büro, das neu, aber schlicht und preisgünstig eingerichtet ist, spricht immerhin dagegen, dass sich der Inspektor bereichert. Auch der Klotz von Nachtsichtgerät, den er sich umgehängt hat, stammt aus Armeebeständen, weder moderne Technik noch Titan – einfach solides sauschweres Sowjetmetall.

Tagsüber: Knochenarbeit

Die Arbeit der Inspektoren ist tagsüber Knochenarbeit. Sobald der vierzackige Haken den sie über den Boden gleiten lassen, sich in einer Fangleine am Grund verfängt, ziehen sie das Seil bloßen Händen rauf. Selbst ohne Beute ist die meist 20, 30 Meter lange mit Steinen, ausgedienten Kugellagern, Kork und Eisenhaken versehene Fangleine schwer. Am Grund ist sie an beiden Enden mit Ankern befestigt. Sobald alle Haken heraufgeholt wurden, wird die Leine gekappt, die schweren Anker bleiben meist im Wasser zurück.

Die Inspektoren werden vom Ufer aus beobachtet. Von den Fischern – Schijans stämmiger Kollege Gennadi nennt sie nicht Wilderer –, die um ihre Leinen bangen. „Grundsätzlich gilt, wo eine Leine ist, sind auch mehrere“, sagt Gennadij. 40, 30 holen sie täglich hoch. Nachts sind schon wieder neue da.

Mit Zulagen verdient ein Inspektor rund 4.500 Rubel, etwa 150 US-Dollar, das ist nicht die Welt und baut der Versuchung nicht vor. In zwei Stunden haben Gennadi und sein Kompagnon einen 25 Kilo Belugastör, einen fast so schweren Sterlet und noch zwei Langnasenstöre von den Haken geholt. Zwei von ihnen sind Weibchen. Bei 17 Prozent Rogenanteil vom Körpergewicht liegen jetzt gut und gerne sechs Kilo Kaviar im Boot, Schwarzmarktwert: rund 500 Dollar.

Nachts: Lauern

Peter der Große habe bereits angeordnet, Fischwächtern geringen Lohn zu zahlen, weil die Arbeit als solche räuberisch sei, sagt Gennadi lachend. Der konfiszierte Fisch wird nach der Tour an Privatfirmen abgegeben. An wen, das bestimmt die Administration in Astrachan: „Absurd“, meint Schijan, „wir nehmen dem einen Banditen nehmen Fisch weg, um ihm den nächsten Gauner zu geben.“ Drei Millionen Rubel schulden die Firmen der BOIR noch vom letzten Jahr.

Die Suche nach Wilderern besteht an diesem Abend aus stundenlangem Warten im Dunkeln, Lauschen auf nahende Motoren und einem Blick ins Nachtsichtgerät. Zufällig erwischen die Inspektoren Wolodja und Sascha. Beide sind über 70 und Veteranen im Geschäft. Als die Ökopolizisten sie am Ufer stellen, hat Sascha schon Werkzeug und Beute entsorgt. In flagranti Ertappte versenken alles im Fluss. Das sei nun schon die zweite Razzia hintereinander, gestern sei die Wasserpolizei unterwegs gewesen, klagt Sascha. Gennadi kennt beide, selbst Details ihrer Familiengeschichte. Wolodja erzählt von seinen zehn Schafen, die der Wolf vor kurzem gerissen habe, und Sascha von den 200 Rubeln, die ihm als Hausmeister eines Erholungsheimes seit drei Monaten nicht gezahlt werden. „Was soll ich mit denen machen?“, fragt Schijan grinsend: „Wenn die nicht ihr Kontingent Fisch bekommen, revoltiert ihr Körper.“

Um zwei Uhr morgens auf der Rückfahrt. Schijan reißt plötzlich das Steuer rum und macht den Scheinwerfer an, es knallt, die Boote kollidieren und zwei verblüffte Gestalten lassen im gleißenden Licht die Wildererutensilien ins Wasser gleiten. Schijans Miene hellt sich auf, der Triumph des erfolgreichen Jägers.

Einer der beiden Festgenommenen verweigert die Aussage, der andere gesteht. An einer Bootsanlegestellestelle holen die Inspektoren den Stationsvorsteher aus dem Schlaf. Bis vier Uhr wird hier der Papierkram erledigt, danach werden die Verhafteten der Polizei übergeben. Der ältere und renitentere ist 25 Jahre alt und vorbestraft: Hühnerdiebstahl, Körperverletzung, illegales Fischen. Die Bewährung ist noch nicht abgelaufen. Beide sind arbeitslos. Auch wenn es genügend Arbeit gäbe, sagt Schijan, diese beiden würden die Wilderei nicht sein lassen. Er ist mit dem Ergebnis seiner Arbeit in dieser Nacht zufrieden.

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