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„Architektur muss Dialog sein“

Carl Steckeweh hat als Generalsekretär des XXI. Architektur-Weltkongresses mit dem Desinterese an deutscher Architektur und erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten zu kämpfen. Er will dennoch für einen „neuen Stellenwert der Architektur“ eintreten

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER und UWE RADA

taz: Herr Steckeweh, können Sie noch ruhig schlafen?

Carl Steckeweh: Ja, aber nur hin und wieder.

Liegt es daran, dass Ihnen als Generalsekretär des XXI. Weltkongresses der Architektur nur 3.500 von geplanten 10.000 Anmeldungen vorlagen?

Beides ist nicht ganz richtig. Wir haben uns an den Zahlen der Vorläufer-Kongresse in Barcelona 1996 mit 13.800 und Peking 1999 mit 5.800 Teilnehmern orientiert. Für Berlin haben wir uns Zahlen im vierstelligen Bereich vorgestellt. Derzeit gehen wir von 5.000 und 6.000 Teilnehmern aus.

Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, den Bund Deutscher Architekten (BDA) als Veranstalter des Kongresses an den Rand des Ruins getrieben zu haben. Steht der Verband vor der Pleite?

Definitiv nicht. Ich kenne den Vorwurf nicht. Richtig ist, dass wir das Budget mit anderen Zahlen geplant haben. Richtig ist auch, dass wir wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten und uns noch im Bereich der Unsicherheiten befinden. Aber wir glauben, diese finanziellen Probleme überwinden zu können; auch dank Unterstützung des Bundes.

Hat Berlin als ehemalige Hauptstadt der Baukräne und als Ort zahlreicher „Schaustellen“ nicht mehr genügend Zugkraft für einen solch gigantischen Event wie den des Architektenweltverbandes UIA?

Es liegt nicht an der mangelnden Attraktivität der Stadt, dass es weniger Besucher sein werden. Die Architektur stößt im Prozess der Veränderung nach wie vor auf größtes Interesse. Die Welt hat sich schlicht und einfach verändert. Die Rahmenbedingungen haben sich seit der Bewerbung für den Kongress 1996 gewandelt. Die schlechte Konjunktur in Europa bedroht die Architektenschaft und das Bauwesen existenziell. Wir haben den 11. September und wir haben etwa in Ländern wie Argentinien und anderswo eine Situation, die es Architekten aus aktuellen wirtschaftlichen Gründen nicht mehr erlaubt, zu reisen.

Der Titel „Ressource Architektur“ ist vor fünf, sechs Jahren gewählt worden. Sind heute in der Debatte über Architektur nicht andere Themen wichtiger? Stichworte sind: Zweite Moderne, neue Baukultur, Schrumpfung der Städte, High-Tech, Megacitys in Asien und Afrika, die Öffnung zu anderen Disziplinen.

„Ressource Architektur“ bedeutet eine Medaille mit zwei Seiten. Die Architektenschaft soll sich auf dem Kongress sowohl mit den konkreten inhaltlichen Aspekten der Architektur als Ressource für die Zukunft auseinander setzen als auch mit den ideellen und immateriellen Werten – also Ressourcen – von Architektur.

Das klingt sehr nach einer Wertedebatte.

Wir haben uns für den Kongress von vornherein um einen interdisziplinären Dialog bemüht. Und ich denke, wir werden diesen Dialog auch führen können. Allein das Wort Dialog steht ja als Synonym für das, was wir wollen. Es soll ein Dialog der Disziplinen, ein Dialog der Generationen, ein Dialog der Kulturen und Zivilisationen entstehen. Im Prinzip geht es uns mit dem Thema Ressource Architektur um die Gesellschaftsfähigkeit der Architektur. Wir wollen für die Architektur einen neuen Stellenwert erkämpfen.

Geht’s konkreter?

Ich meine, dass dieser allgemeine Begriff sehr wohl die Themen zulässt, die Sie ansprechen: die Themen Stadt und Gesellschaft, Innovation und Tradition, Natur und gebaute Umwelt, Raum und Identität. Schließlich umfasst das Programm die neuen Wohnformen und die Probleme des Städtebaus, die soziale Architektur bis hin zur neuen Erlebnisarchitektur. Wir haben etwa den Auftritt des Autodesigners Ron Dennis mit Lord Norman Forster, die gemeinsam das neue Hauptquartier von McLarren/Mercedes entworfen haben.

Wie kann ein Mammutkongress das vermitteln?

Wir versuchen zum einen die Gratwanderung zwischen Glamour und Inhalt. Natürlich haben wir die großen Namen der Architektur eingeladen, von Norman Foster oder Kisho Kurokawa über von Gerkan bis hin zu Peter Eisenman. Zum anderen wollten wir keinen reinen Kongress der Starauftritte und großen Namen. Wir gehen vielmehr auf Entdeckung neuer Substanzen, um ein breiteres Fundament für die Architektur und die Debatte über Architektur zu finden. Aber die Architektur selbst kommt nicht zu kurz: Parallel zu den 34 Veranstaltungen wird es 49 Ausstellungen geben, 94 Galerien zeigen Projekte von Architekten und Künstlern.

Trotzdem noch einmal nachgefragt: Kommt die geringe Begeisterung im Vorfeld nicht auch daher, dass „Ressource Architektur“ so klingt wie „Rio für Architekten“, ein Thema, das schon vor zwei Jahren auf dem großen Weltstädtekongress „Urban 21“ im Mittelpunkt gestanden hatte?

Das ist doch eine durchaus schöne Formel. Denn letztendlich kommt es doch darauf an, eine gut gebaute Umwelt zu entwerfen. Wir haben ganz bewusst den Kongress in den Kontext der Welt-Umweltkonferenz von Rio 1992, in die Habitat-Weltsiedlungskonferenz in Istanbul 1996 und die Welt-Städtekonferenz 2000 in Berlin eingebettet. Jetzt kommt der UIA-Kongress. Und es passt, dass im Herbst der Erdgipfel in Johannisburg stattfindet und man zehn Jahre nach Rio eine Bilanz des Erreichten ziehen kann. Wir halten Klaus Töpfer in dem Zusammenhang für eine ganz wesentliche Persönlichkeit auf unserem Kongress, der diese Entwicklung mitgeprägt hat.

Konkret: Bei der Vorbereitung wurde einmal der Vorschlag gemacht, dass nur noch solche Flächen bebaut werden sollen, die einmal bebaut waren. Welchen Stellenwert haben Denkanstöße wie diese für Architekten?

Der Vorschlag stammt von Karl Ganser, dem einstigen Direktor der IBA Emscher Park und Sprecher unseres wissenschaftlichen Beirats. So ein Vorschlag hat natürlich für Länder der Dritten Welt eine andere Bedeutung. Aber Ganser meint, dass unter dem Primat der Ökologie dieses Prinzip in Deutschland sehr wohl Gewicht erhalten könnte. Das ist einer der Denkanstöße für den Kongress. Dazu gibt es eine Gegenmeinung des namhaften Städtebauers Tay Kheng Soon aus Singapur, für den die Grenzen des Wachstums der Städte anders zu formulieren sind. Daran merken Sie, dass diese Thesenpapiere keine Antworten an den Kongress vorgeben, sondern Fragen aufwerfen.

Aber Architekten wollen und müssen manchmal bauen, was der private oder öffentliche Bauherr aufträgt und bezahlt. Ist denn so ein Denkanstoß überhaupt durchsetzbar im Dialog mit Städtebauern oder den Verwaltungen? Sind nicht gerade Architekten damit überfordert?

Das kann sein. Aber es soll von Berlin ein Neubeginn und der Versuch einer Neuorientierung des Berufsstandes ausgehen. Der Beirat meinte, es müsse doch möglich sein, in die Zukunft zu denken und nicht nur pragmatisch handeln zu müssen. Und der Berufsstand, der einmal von einer hohen ethischen Position ausging – in der BDA-Satzung steht als Hauptziel die Verbesserung der Qualität des Planens und Bauens in sozialer Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt –, muss alles dafür tun, diesen Anspruch einzulösen.

Ein Plädoyer für sozialen Städtebau und soziale und ökologische Prozesse. Das ist aber ein Architektenkongress.

Wenn „Urban 21“ eine Welt-Städtekonferenz war, dann wollen wir einen Welt-Architekturkongress veranstalten. Für uns ist Städtebau die nächste Ebene der fachlichen Umsetzung und Architektur die dritte Dimension als gebaute Umwelt. Und es wird zum ersten Mal diese dritte Dimension in dem Kontext Rio bis heute eingeführt. Sie haben Recht, der 21. UIA-Kongress ist keine reine Architekturveranstaltung. Wir betrachten die Architektur als immanenten Teil des Städtebaus.Wir wollen das Ganze nicht getrennt wissen.

In Berlin hat man versucht, mit dem Planwerk Innenstadt das Thema Innen- vor Außenentwicklung zu formulieren. Eine solche Planung geht aber an den real existierenden Rändern und Peripherien vorbei. Was ist heute nachhaltig an Architektur und Städtebau?

Für mich ist das Thema Innen- versus Außenentwicklung eher ein akademisches. Ich finde es wichtig, dass seit dem Buch von Thomas Sieverts über die „Zwischenstadt“ das Thema Peripherie neu auf dem Tisch liegt. Aber ich meine genauso, dass wir das in einem Gesamtkontext sehen müssen. Es hat immer Bewegungen gegeben, die nach innen schauten. Dann war wieder die Peripherie dran. Wir sagen, es kann nicht sein, dass die Stadt an ihrem Rand aufhört. Darum spielt in dem Kongress die Beziehungen der Stadt zur Region eine große Rolle. Wir knüpfen damit an Urban 21 an.

Warum fehlt auf der Konferenz das wichtige deutsche und spezielle Berliner Thema Schlossdebatte? Wäre es nicht eine Chance, hier die Auseinandersetzung zu führen?

Der Präsident der Bundesarchitektenkammer, Peter Conradi, wird beim Kongress sprechen und mit Sicherheit seine Meinung gegen den Wiederaufbau des Schlosses wiederholen.

Die Meinung ist hinlänglich bekannt.

Aber wer aus dem Ausland kennt die Debatte um das Schloss?

Überschattet denn nicht die Entscheidung des Bundestages den Kongress?

Noch einmal. Es geht nicht darum, ganz bestimmte aktuelle Fragen hier unmittelbar zu thematisieren. Seien Sie sicher, die Schlossdebatte wird dennoch Teil des Kongresses werden.

Im Rahmen des Kongresses versucht die Ausstellung „Neue Deutsche Architektur“, diese wieder international salonfähig zu machen. Und nun bildet die Entscheidung zum Schlossplatz das Markenzeichen einer deutschen Architekturdebatte. Ein echter Verkaufsknüller!

Ich finde, dass Ullrich Schwarz und seine Kollegen mit der Ausstellung hervorragende Arbeit geleistet haben. Die endgültige Entscheidung über die Zukunft des Schlossplatzes ist meines Erachtens noch längst nicht getroffen. Schließlich gibt es zahlreiche unterschiedliche und seriöse Vorstellungen, die die Diskussion auch künftig beleben werden, zumal völlig unklar ist, wer eigentlich das Sagen hat und wer das Bauwerk – unabhängig von seiner künftigen Gestalt – finanzieren wird.

Welchen Erkenntniswert und welche Nachhaltigkeit wünschen Sie sich von dem Kongress?

Dass man hinterher sagt: Die haben einen intensiven Dialog über die Zukunft der Architektur im Kontext der Umwelt geführt; und dass eine Botschaft von Berlin ausgeht, dass die Ressource Architektur etwas so Wertvolles ist, dass wir anders und besser mit dem umgehen müssen, was wir haben, und nachdenken müssen über das, was wir künftig tun. Andernfalls nähme der Stellenwert der Architektur weiter ab – im eigenen Land und anderswo.

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