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Die Pflöcke stecken schon

Gesundheit, Schule, Polizei: Vier Jahre vor der geplanten Volksabstimmung über die Länderfusion arbeiten Berlin und Brandenburg zum Teil bereits eng zusammen und planen weitere Angleichung

von STEFAN ALBERTI

Die deutlich gesunkene Zustimmungsquote zur Fusion von Berlin und Brandenburg hat Bewegung in die bis 2009 geplante Länderehe gebracht. Berlins SPD-Fraktionschef Michael Müller sieht die Diskussion nicht genug vorankommen, Brandenburgs neuer Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) fordert „eine Kampagne, die von unten wächst“. CDU-Politiker werfen den Sozialdemokraten vor, das Thema zu vereinnahmen und zugleich nicht genug genug für eine Pro-Fusion-Stimmung zu tun. Lange vor der für 2006 vorgesehenen zweiten Volksabstimmung aber sind beide Länder schon zusammengerückt und arbeiten an weiterer Angleichung. Der erste Anlauf war 1996 gescheitert.

Die im Juni vereinbarte Fusion der Rundfunksender SFB und ORB ist dabei nur das prominenteste Projekt. Allein die vergangene Woche bot zwei weitere Beispiele. Mittwoch: Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) und ihr brandenburgischer Amtskollege Alwin Ziel (SPD) besuchen gemeinsam Kliniken, um die bewährte Arbeitsteilung zu loben. Berlin ist für die Spezialmedizin – wie schwere Brandverletzungen oder Transplantationen – beider Länder zuständig. „Wenn die Brandenburger das auch noch aufbauen würden, wäre das viel zu teuer und die Berliner Einrichtungen wären nicht ausgelastet“, sagt Knake-Werners Sprecherin. Brandenburg hingegen übernimmt die stationäre Rehabilitation.

Donnerstag: Die Innenressortchefs stellen das so genannte Lagebild der Kriminalität in beiden Ländern vor. Die Landeskriminalämter würden vor allem bei teuren Technikeinsätzen zusammenarbeiten. Eine Sprecherin von Senator Ehrhart Körting (SPD) spricht von gemeinsamen Ermittlungsgruppen. Die Strukturreform der Berliner Polizei soll die Führungsebenen mit denen der Brandenburger Kollegen kompatibel machen.

Das sind nicht die einzigen Berührungspunkte zwischen den beiden Landesregierungen – und auch nicht die weit reichendsten. In vier Wochen werden im Potsdamer Pädagogischen Landesinstitut Bildungsexperten beider Länder vier Tage in Klausur zusammensitzen. Herauskommen soll das Konzept eines gemeinsamen Rahmenlehrplans für die Grundschulen. Schulsenator Klaus Böger (SPD) und sein Brandenburger Kollege wollen zum Abschluss der Beratungen eine offizielle Vereinbaren unterschreiben.

Binnen zwei Jahren soll das Konzept mit konkreten Inhalten ausgefüllt werden, zum Schuljahr 2004/05 soll es in Kraft treten. Dazu gehören auch Details wie Fächernamen: Was in Berlin „Sozialkunde“ heißt, läuft in Brandenburg unter „Politische Bildung“. Eine weitere gemeinsame Kommission befasst sich nach Angaben der Senatsverwaltung mit der Lehrerausbildung, außerdem stimmen sich beide Länder über eine verkürzte Schulzeit und ein Zentralabitur ab.

Andere Formen der Zusammenarbeit sind hingegen seit Jahren fest gefügt. Am Gendarmenmarkt ist nicht etwa die Berlinische, sondern die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften zu Hause. Per Staatsvertrag einigten sich beide Länder 1992, die fast 300-jährige Geschichte der Akademie gemeinsam fortzuführen. Ein Staatsvertrag lässt Berlin und Brandenburg auch beim Management der Schlösser und Gärten zusammenarbeiten – nach Kenntnis der Senatsverwaltung für Wissenschaft die einzige derartige Abmachung zweier Bundesländer, kulturelles Erbe gemeinsam zu verwalten. In Vorbereitung ist ein gemeinsames archäologisches Landesmuseum in Potsdam.

Zusammenarbeit gibt es auch im Wirtschaftsressort trotz Standortkonkurrenz für Ansiedlungen. „Sehr viele gemeinsame Anknüpfungspunkte“ sieht eine Sprecherin von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS), auch bei der Wirtschaftsförderung. Staatssekretär Volkmar Strauch etwa sitze im Aufsichtsrat der Zukunftsagentur Brandenburg. Maße und Gewichte soll zukünftig eine gemeinsame Eichbehörde kontrollieren. Weitere gemeinsame Projekte sind die Internationale Luftfahrt-Ausstellung, die Deutschen Gründer- und Unternehmertage und das gemeinsame Filmboard.

Berlin-Brandenburg steht auch hinter den Namen von einzelnen Verbänden wie etwa dem hiesigen Landesbezirk des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Dass das nicht zwingend eine Länderfusion zur Folge haben muss, zeigt der DGB-Bezirk Niedersachsen/Bremen, wo eine Zusammenlegung der Länder kein ernsthaftes Thema ist.

Beim Verkehrsverbund Berlin und Brandenburg (VBB) ist die Zusammenarbeit schon seit 1997 institutionalisiert. „Wir sehen uns als Fusionsprojekt“, sagt VBB-Sprecherin Ingrid Kudirka. Pläne von Verkehrssenator Peter Strieder jetzt eine eigene Berliner Verkehrsgesellschaft hält sie daher für kontraproduktiv.

Trotz aller Kooperation gibt es weiterhin Reibungspunkte, etwa bei der Drogenpolitik. Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit: „Wir setzen auf Prävention – und Brandenburgs Innenminister Schönbohm fängt sie alle ein, wenn sie von der Love Parade kommen.“

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