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Tölpel im hohen Norden

Auf Helgoland sind die Basstölpel heimisch geworden. Der größte Seevogel des Nordatlantiks bedrängt die angestammten Brutvögel. Ornithologen sehen das mit gemischten Gefühlen

von HELMUT MÜLFARTH

Helgoland hat neue Einwohner: Die Basstölpel sind auf der roten Felseninsel in erstaunlich kurzer Zeit heimisch geworden. Vor zwölf Jahren verirrte sich das erste Basstölpelpaar auf die einzige deutsche Hochsee-Insel und brütete auf dem Nordfelsen. In diesem Jahr hat die Brutkolonie ihren bisherigen Rekord von 130 Paaren erreicht, Tendenz steigend. „Quasi von Null auf 100 in rund einem Jahrzehnt, das ist bemerkenswert“, sagt Ornithologe Ommo Hüppop von der Vogelwarte Helgoland. Dies habe jedoch nicht nur positive Seiten.

Normalerweise sind die größten Seevögel des Nordatlantiks ihrem Geburtsort treu. Bisher hatten sie ihre Brutkolonien in Neufundland und auf den Kanalinseln. Zum Überwintern ziehen die Jungvögel ins Mittelmeer, aber vereinzelt auch bis zu den Kapverdischen Inseln. Ursachen für die Einwanderung der Vögel auf Helgoland seien die Eingriffe des Menschen in den Lebensraum Nordsee, jedoch möglicherweise auch die Klimaerwärmung, vermutet Hüppop: „Vereinzelte Altvögel haben wir sogar schon beim Überwintern auf Helgoland beobachtet.“

Basstölpel können mehr als 25 Jahre alt werden. Erst mit vier bis fünf Jahren werden sie geschlechtsreif. In ihr Nest an der roten Felsenwand legen sie nur ein einziges Ei pro Paar. Für den Nestbau verwenden die Vögel ungewöhnliches Material: alte Fischernetze, Plastiktüten und Kunststoffseile, weil sie nichts anderes auf dem kahlen Felsen finden. Dieses Nistmaterial ist zugleich die Haupttodesursache des Basstölpels. Jungvögel werden von den Eltern oft aus Versehen regelrecht in die Schnüre eingewoben, sind gefesselt und können sich nicht mehr befreien. Auch Trottellummen verfangen sich in den Schnüren der Basstölpel-Nester und gehen elend zu Grunde.

Zu Beginn, im Jahr 1991, glaubten die Ornithologen der Vogelwarte Helgoland noch, dass der Felsen viel zu klein sei für eine weitere Vogelart und noch mehr Nester. Tatsächlich vertrieben die Basstölpel in den darauf folgenden Jahren die bisher heimischen Vogelarten an einigen Stellen.

„Die Basstölpel verdrängen kleinräumig die Trottellummen, die sich dann andere Brutplätze suchen müssen“, sagt Hüppop. Es sind auch in diesem Jahr immer wieder heftige Platzstreitigkeiten zu beobachten. Auf den roten Felsen Helgolands seien aber noch genügend Ausweichquartiere vorhanden. Es bestehe keine Gefahr, dass die Lummen, mit bis zu 5000 Brutpaaren der „Charaktervogel Helgolands“, auswandern müssten, bestätigt die Vogelwarte.

Die Wissenschaftler des Forschungsinstitutes beobachteten, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Seevögel im Nordseeraum ausbreiteten. Einer der Hauptgründe sei die Fischerei mit ihren ungenutzten Beifängen – den Fischen, die nicht auf dem Speisezettel des Menschen stehen. Auf eine gefangene Seezunge kommen sechs Kilogramm Beifang, über den sich die Basstölpel, Großmöwen und Eissturmvögel hermachen. Ein gestiegenes Nahrungsangebot führt zur Ausbreitung der Tiere. So zogen auch die Basstölpel immer weiter nach Norden und landeten auf Helgoland. Hüppop: „Man muss sich natürlich Gedanken darüber machen, ob das eine natürliche Entwicklung sein kann, die völlig in Ordnung ist, oder ob das nur auf den menschlichen Einfluss zurückzuführen ist.“

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