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Kunst oder Schrott

10 Tonnen schwere „Blockbau“-Skulptur des Artgenda-Projekts „Kolonie glückliche Erde“ auf Bahngelände von Unbekannten versetzt und beschädigt. Staatsanwaltschaft ermittelt

von PETRA SCHELLEN

Man konnte die Ostseekunst-Biennale artgenda mögen oder nicht – eins hat sie jedenfalls initiert: erregte Diskussionen über die Frage, was eigentlich Kunst sei. Ein zwar irritierend rückwärtsgewandter Diskurs, der hinter Frankfurter und Kasseler Niveau weit zurückblieb, aber besser als totales Schweigen.

Alles lange vorbei – doch ganz ausgestanden sind die diesbezüglichen Leiden der beteiligten Künstler noch nicht: Eine „Kolonie glückliche Erde“ sollte das Blockbau-Projekt werden, initiiert unter anderem von Berndt Jasper. Zehn T-förmige Holzskulpturen und eine aus Beton haben die Künstler während der artgenda auf einem Brachgelände der Deutschen Bahn an der Stockmeyerstraße gebaut. 700 Quadratmeter umfasst das Areal, das Jasper hierfür vom 15.6. bis zum 15. 7. von der Deutschen Bahn gemietet hatte. Die Baubehörde hatte das Vorhaben abgesegnet; die Künstler feierten Richtfest und, am 23. 6., artgenda-Abschluss. Danach sollten die Skulpturen zum Bullerdeich transportiert werden.

Soweit die Planung – doch die zehn Tonnen schwere, aus einer speziellen Beton-Eisenoxyd-Mischung gegossene Skulptur sollte den 11. Juli nicht heil überstehen: Unerwartet begannen in den Tagen zuvor Entlade-Aktivitäten des Schaustellerbetriebs Meyer-Steiger, der zunächst mit niemandem kollidierte. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Riesenrad entladen wurde und die Betonskulptur im Weg stand. Was genau geschah, kann Jasper, der Anzeige gegen Unbekannt erstattete, nur vermuten: „Am Nachmittag des 11. Juli fand ich die Skulptur versetzt und beschädigt vor.“ Ein LKW-Fahrer des Schaustellerbetriebs habe ihm gegenüber bestätigt, dass er die Skulptur verschoben habe.

Hans Meyer, Hamburger Chef der Firma Meyer-Steiger, weiß dagegen „ganz genau, dass das keiner von uns war.“ Weder die Deutsche Bahn noch die DB Cargo – eine eigene, für Transporte zuständige Gesellschaft – hätten ihm allerdings mitgeteilt, dass auf dieser Fläche, die er oft nutzt, diesmal mit Hindernissen zu rechnen sei. „Deshalb habe ich gedacht, da hätte jemand seinen Schrott abgeladen.“

Genauso sieht es Senior-Chef Adolf Steiger: „Das ist doch keine Kunst – da, wo es jeder besudeln kann! Außerdem müssen wir beim Entladen sehr oft erstmal den Müll wegräumen. Und da hat wahrscheinlich einer der Fahrer das Zeugs beiseite geschoben.“

Grundsatzdiskussionen über Kunst interessieren den Bundesgrenzschutz (BGS), der den Schaden aufnahm, allerdings weniger: „Der Sachschaden wurde mit 50.000 Euro beziffert. Dazu kommt der künstlerische Wert, den man nicht in Zahlen ausdrücken kann“, sagt BGS-Sprecher Florian Harm. Der BGS habe den Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die Ermittlungen aufgenommen habe.

Doch auch wenn für Regressforderungen der Schädiger und nicht die Deutsche Bahn als Vermieterin aufkommen muss – eine Ungereimtheit bleibt: Warum hat die Deutsche Bahn der DB Cargo nicht mitgeteilt, dass die – bisher immer für Verladungen der Schausteller freie – Fläche diesmal an Künstler vermietet war und Hindernisse bergen könnte?

„Wir müssen der DB Cargo gar nichts mitteilen“, sagt Markus Tenten, Abteilungsleiter des DB-Immobilienmanagements in Hamburg. „Außerdem hat niemand daran gedacht, dass die Schausteller mit den Künstlern kollidieren könnten.“ Andernfalls hätte er, das räumt er ein, den Künstlern doch glatt Bescheid gesagt vor der Entladungs-Aktion.

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