: Die Suche nach Spaß
Streetsoccer-Turniere schießen wie Pilze aus dem Boden. Doch nicht jeder Fußball, der auf der Straße gespielt wird, ist auch wirklicher Straßenfußball. Talente jedenfalls findet man hier meist nicht
aus Berlin MARKUS VÖLKER
Das Klagelied wird meist mit der Zeile angestimmt, es gebe keine Straßenfußballer mehr in Deutschland. Franz Beckenbauer singt es, Karl-Heinz Rummenigge und auch Jürgen Klinsmann trällern mit. Die Jugend verfette vor dem Computer, meide den Bolzplatz und kappe dadurch die Verbindung zu Kreativität und Fummelfußball, heißt es im Refrain. Die Altmeister besingen eine Zeit, in der sie nach der Schule stundenlang gegen das Leder traten und erst nach Hause schlurften, wenn die Knie wund und die Sohlen durchgescheuert waren. In ihre Erinnerung mischt sich viel Wehmut und die Erkenntnis, früher sei alles besser gewesen. Tatsächlich tritt die Spezies des Straßenfußballers immer weniger in Erscheinung. Auch die verschiedenen Streetsoccer-Turniere, die wie Pilze aus dem Boden schießen und die von jungen Kickern geradezu gestürmt werden, bringen den Straßenfußballer nicht zurück.
Die von Nike, Adidas oder dem Supermarkt Real auf einem Kleinfeld organisierten Wettkämpfe, bei denen sich je drei Spieler miteinander balgen, pflegen den Mythos, große Spieler hervorgebracht zu haben und für Talentspäher Überraschungen zu bieten. Doch das Niveau der Turniere ist mäßig. Heimliche Genies gibt es nicht zu entdecken, erst in den Finalrunden sind trickreiche Spiele zu sehen. Product-Placement und Brand-Awareness, wie es die Marketingstrategen vorgeben, bestimmen vielmehr die Szene. Ewig lange müssen die Kids ausharren, um dann, wie etwa beim Nike-Skorpion-Cup, drei Minuten spielen zu dürfen.
„Bei solchen Events ist keiner dabei, auf dem man aufbauen könnte, und wenn doch, sind es Jungs, die man eh schon kennt“, sagt André Bandit. Der 25-Jährige ist Jugendtrainer bei Tennis Borussia Berlin (TeBe), wo traditionell gute Nachwuchsarbeit geleistet wird. Dazu trainiert er Mannschaften der Poelchau-Oberschule, eine Eliteschule des Sports, die sich auf Fußball konzentriert hat. Die Gesamtschule arbeitet mit Hertha BSC und TeBe zusammen. „Wir haben die Elite Berlins bei uns“, sagt Bandit. Teams der Poelchau-Schule gewinnen regelmäßig Berliner Meisterschaften.
„Die Trickserei hat für Kids einen hohen Stellenwert“, weiß Bandit, „aber die, die leistungsorientiert Fußball spielen, können bei solchen Streetsoccer-Events gar nicht teilnehmen, weil es entweder verboten wird – die Verletzungsgefahr zu groß ist – oder sie keine Zeit haben.“ Einige Poelchau-Schüler waren freilich nicht davon abzuhalten, in den Bolzkäfigen die Konkurrenz alt aussehen zu lassen. Der Spaßkick wird aber nur geduldet, wenn er sich nicht mit wichtigen Vereins- und Schulspielen überschneidet.
Der Terminkalender der Nachwuchsfußballer ist prallvoll. „Unsere B-Jugend war am Ende der Saison so überspielt, dass sie gar keine Kreativität mehr entfalten konnte“, erinnert sich Bandit. Neben den 40 Saisonspielen galt es 22 Mal im Nord-Cup anzutreten, wo sich etwa Werder Bremen mit Tennis Borussia duellierte. Dazu kommen Spiele beim VW-Cup, „unserem Hauptsponsor“, und Sichtungslehrgänge des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). „Manchmal haben die Kleinen drei Spiele in fünf Tagen, welcher Bundesligaspieler will sich das antun?“, fragt Bandit. Man müsse reduzieren, schlägt er vor. Aber wie? Der Stress beginnt früh. Schon in der D-Jugend wird gesiebt, gesichtet und geschult. Der DFB hat sich im vergangenen Jahr an die ganz Jungen herangemacht, in Reaktion auf das schlechte Abschneiden bei der letzten Europameisterschaft.
Acht DFB-Stützpunkte gibt es in Berlin – für 12-Jährige. „Wünschenswert wäre, wenn wir sogar noch weiter hinuntergehen“, sagt DFB-Jugendkoordinator Michael Skibbe. Zehn Millionen Euro verschlingt das Programm, „doch das ist es wert, denn Straßenfußball gibt es ja in Deutschland kaum noch“, meint Skibbe und liefert damit den Straßenfußball, der, wenn überhaupt, nur noch im Alter zwischen 10 und 14 eine Chance hat, an die Vereine aus.
In den Händen der Klubs geht die Lust auf Spielchen wie Einmal-Berühren oder 16-Raus spürbar verloren. „Nur die Fanatischen ziehen alles durch“, sagt Bandit. Jürgen Klinsmann hat errechnet: „Früher hat der organisierte Vereinsfußball nur zwanzig Prozent ausgemacht, heute sind es hundert.“ Er will dem Nachwuchs mit der Wiederbelebung des Freizeitfußballs den Spaß zurückgeben. Aber wie soll das gehen ohne Mehrbelastung? Und überhaupt: Mit dem unorganisierten Straßenfußball just for fun von einst haben all die durchkalkulierten Streetsoccer-Turniere wenig bis gar nichts zu tun – außer dass sie tatsächlich auf der Straße stattfinden.
Den Blicken des DFB soll möglichst kein Talent entgehen. Für die Kinder heißt das: Immer früher müssen sie sich den Vorgaben der Trainer fügen. Ein Entrinnen in die Lustzone Freiplatz ist nach der Entdeckung ihrer Begabung kaum mehr drin. Der Nachwuchs reibt sich auf zwischen Sichtungen, Pflichtspielen und Stützpunkttrainings. Der Verein verschlingt den Straßenfußball. Das Klagelied vom aussterbenden Bolzer darf also weiter gesungen werden. Der DFB hält unfreiwillig den Taktstock.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen