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sommerkrimi

Folge 6

Auf Mallorca wäre Lennie ganz sicher irgendwann draufgegangen, so versifft wie der am ganzen Körper war. Novitzki, diese Ratte, hatte ihn vollkommen verfaulen lassen. Ich hätte ihn unmöglich zurücklassen können. Bullshit, dass er aber auch bei jeder Gelegenheit gleich so ausrastet! Musste er den Typen auf der Fähre nach Barcelona denn so derartig verprügeln? „Beweg deinen fetten Arsch, Mann!“ hatte die Glatze einfach nur gesagt. Und nicht einmal zu Unrecht. Was blieb Lennie auch, kaum das Sandwich in der Hand, einfach stehen, schob sich das Ding zwischen die Kiemen und versperrte der ganzen hungrigen Meute hinter sich den Weg an die Theke. Trotz alledem hätte ihn die Glatze besser nicht anfassen sollen. Dabei wollte er Lennie nur wegschieben, konnte ja nicht ahnen, dass Lennie wie ein in die Enge getriebenes Raubtier reagiert, wenn er angetoucht wird. Lennie hatte sofort mit aller Macht zugeschlagen. Mit beiden Fäusten zugleich. Als die Glatze am Boden lag, hatte er sich den ersten besten Stuhl gegriffen und auf den Typ eingeprügelt, während er ihm gleichzeitig mit beiden Füßen in den Körper getreten hatte. Infernalisch. Wenn ich Lennie nicht die Flasche über die Rübe gezogen hätte, hätte die Glatze den letzten Schiss getan.

Kann einem wirklich Angst machen. Wird jedes Mal schlimmer. Die panische Angst in den aufgerissenen Augen. Außer mir könnte ihn wohl niemand aus diesem Zustand herausholen. Der würde alle plattmachen.

George stand auf, reckte sich kurz, ging dann auf den Gang und zog ein Fenster auf. Der Zug fuhr gerade durch einen Kleinstadt-Bahnhof. Es war noch früh am Vormittag. Die Sonnenstrahlen tanzten sich durch die Metallsäulen und Fenster der Bahnhofsbauten. Morgen würden sie in Hamburg sein. Mal sehen, ob wir die Ratte erwischen.

*

Hamburg, 10.9.2001, 6.30 Uhr

Er sah ihr direkt in die Augen, gleich als er das erste Augenlid anhob, und es schien ihm, als feixte sie sich eins. Kaum dass die Kakerlake ihn wahrgenommen hatte, hielt sie in ihrem Lauf inne, ruderte eine Weile mit den Fühlern, um schließlich mühelos vom Kopfkissen zu springen, als er ohne große Hoffnung mit der aus der Decke hervorgekramten rechten Hand nach ihr schlug. Mit einem Satz war Pieter Lund aus dem Bett, doch seine Achillessehnen quittierten ihm den ungewohnten Schwung sofort mit einem kräftigen Ziehen. Er blieb vor dem Bett stehen und versuchte die Sehnen vorsichtig zu dehnen. Seit er nur noch zwei, drei mal im Monat Badminton spielte, kam er morgens nur mühsam in Schwung.

Wie auf Stelzen wankte er ins Badezimmer seiner Dachwohnung in der Wohlwillstraße und schaute in den Spiegel. Heruntergekommen, dachte er, alles in dieser Bude ist heruntergekommen. Und ich? Er schaute unwirsch auf die leicht verquollenen Augen über den Bartstoppeln, dann wandte er sich ab, lehnte sich umständlich in die Türfüllung des Badezimmers und ließ seinen Blick mißmutig über das Wohnzimmer schweifen. Wenigstens türmt sich hier das Geschirr nicht mehr, seit ich eine Spülmaschine habe, dachte er.

Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus

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