: Botschaft an den Kanzler
Zehn Stunden lang informierte die Bremer Greenpeace-Jugendgruppe über den bevor stehenden Weltgipfel in Johannesburg. Mit Aktionen und Plakaten lockten sie neugierige Passanten an
Endlich bekommt man die gesichtslosen Bedrohungen, vor denen Globalisierungskritiker und Umweltschützer warnen, mal zu Gesicht. Ganz harmlos stehen sie auf dem Ansgarikirchhof herum, die kopflose Wirtschaftspolitik im grauen Einreiher und die nackte Profitgier mit Dollarzeichen auf der Brille. Nicht einmal von den Megafonbotschaften, die doch wachrütteln sollen, lassen sie sich beeindrucken.
Zwar waren es lediglich Schaufensterpuppen, die die Bremer Greenpeace-Jugendgruppe da gestern aus ihrer Gleichgültigkeit reißen wollten. Für Aufsehen sorgten sie aber trotzdem. Zehn Stunden lang informierte die Naturschutzjugend gestern an ihrem Stand: Auch zehn Jahre nach der UN-Weltentwicklungs-Konferenz von Rio seien deren Beschlüsse nur lückenhaft umgesetzt. An Kanzler Schröder richtet die Greenpeace-Jugend deshalb konkrete Forderungen, die er beim Johannesburger Nachfolgegipfel im August durchsetzen soll. „Wir wollen den Schutz der Urwälder, die Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes und vor allem verbindliche Umweltschutzabkommen“, sagt die 18-jährige Annelie Kaufmann, Pressesprecherin der Greenpeace-Jugend. Ohne Sanktionen hielten sich Öko-Schurkenstaaten wie die USA nicht an die Verträge.
„Geht nicht bei McDonalds essen“ oder „kauft keine Dosen“ – solche Lautsprecher-Botschaften prasseln ununterbrochen auf die Passanten nieder. Jede Stunde folgt eine neue Aktion. Dazu rücken die Zeiger der Weltkugeluhr übers Zifferblatt vor. Hinter sich lassen sie nur eine schwarze Fläche, bis sie am Abend auf fünf vor Zwölf stehen bleiben. Ein Straßentheaterstück zeigt währenddessen, wohin die beklagte Tatenlosigkeit führe: zu Resignation oder Wut, dargestellt von phlegmatischen und cholerischen Umweltschützern. „Zum Ausruhen machen wir dann ein Sleep-In: Als Weltpolitiker legen wir uns auf die faule Haut“, sagt Annelie. Auf Liegestühlen und Badematten wolle man gegen die Tatenlosigkeit nach Rio 1992 demonstrieren.
Die Jugendgruppe gab es da noch gar nicht: „Fünf Gründungsmitglieder waren wir vor etwa einem Jahr“, erinnert sich die Pressesprecherin. Über die Greenpeace-Erwachsenengruppe haben sie sich kennen gelernt, die Info-Kampagne zum Weltgipfel aber organisieren sie jetzt völlig selbstständig.
Mit Erfolg: Neugierige beäugen den Stand der AktivistInnen, manche bleiben stehen. July Hustedt zum Beispiel. Sie war selbst ein Jahr in Afrika und kennt die Probleme: „Ich finde es bemerkenswert, dass sich die jungen Leute einsetzen, und das bei diesem Wetter!“
Ganz nebenbei räumen die UmweltschützerInnen mit dem Vorurteil auf, die Jugend interessiere sich nicht für Politik: Bei der Fotoaktion für eine Petition an den Kanzler machen auch junge Leute mit und halten ihre Forderungen auf Kreidetafeln in die Kamera. Basille Selade zum Beispiel, selbst nicht viel älter als die Greenpeaceler, will „saubere Luft und Wasser“. Bei den NGO-AktivistInnen unterschreibt er aber auch, weil den Politikern nicht vertraut: „Selbst die Grünen fahren einen dicken Benz mit Chauffeur. Die sollen sich ein Fahrrad schnappen und zur Arbeit radeln!“
Sebastian Kretz
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