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Einmal Lehrte und zurück

Senat und Bahn suchen weiter nach einem Namen für zentralen Bahnhof in Berlin. Bis gestern durften die Bürger ran. Die sind konservativ: Sie wollen den „Lehrter Bahnhof“ behalten

von UWE RADA

Warschau hat seinen Zentralbahnhof, in Madrid heißt er Atocha, in London gar Waterloo. Nur wie soll Berlin seinen in Zukunft wichtigsten Bahnhof nennen?

Bislang scheint nur eines sicher: Lehrter Bahnhof soll er nicht heißen. Darin sind sich Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) und Bahnchef Hartmut Mehdorn einig. Lehrter Bahnhof, das sei zu provinziell. Vielmehr müsse ein neuer Name, so Strieder, „die Bedeutung der Station als zentraler Bahnhof der Hauptstadt zum Ausdruck bringen“. Nur, welcher klangvolle Name dieser Aufgabe gerecht wird, wissen Strieder und Mehdorn auch nicht. Seit Anfang Juli dürfen deshalb die Berliner mitdiskutieren.

Und die erweisen sich wieder einmal als ausgesprochen konservativ. In einer soeben veröffentlichten Zwischenbilanz liegt „Lehrter Bahnhof“ vorne, gefolgt von „Zentralbahnhof“ und „Hauptbahnhof“. Andere Vorschläge lauteten „Windrose“ oder „Seifenblase“. Allerdings, betont ein Bahnsprecher, seien erst tausend Sendungen eingegangen, was wohl soviel heißen soll wie: nicht repräsentativ. Nach dem heute zu Ende gegangenen Volksvotum haben ohnehin Senat und Bahn AG das letzte Wort.

Auch die Alternativen zum „Lehrter Bahnhof“ sind nicht ohne Fallstricke. Zentralbahnhof, das hört sich an wie Spartakiade im Leipziger Zentralstadion, Hauptbahnhof dagegen wie eine Westverschiebung des ehedem für kurze Zeit Hauptbahnhof genannten Ostbahnhofs.

Und ist Hauptbahnhof in Zeiten von Globalisierung und neuer Völkerwanderung nicht etwas zu altbacken und provinziell? Schließlich hat jede schwäbische Kleinstadt inzwischen ihren Hauptbahnhof. Wo bleibt da die unverkennbare Handschrift der deutschen Metropole?

Andere hatten es da leichter. Der neue Großflughafen wird, wenn er denn einmal wird, Berlin Brandenburg International heißen. Das hat den Vorteil, dass Reisende aus Übersee dann Börlin Brändenbörg Internäschnl sagen können und alle ganz zufrieden sind. Dass die Flughafenbetreiber den Namen ganz selbstherrlich und ohne Plebiszit ausgesucht haben, spielt deshalb keine Rolle. Und was die Berliner Plätze angeht, hat nur der ehemalige Leninplatz etwas Schwierigkeiten gemacht, was man dem Neunamen „Platz der vereinten Nationen“ anmerkt. Alle anderen dagegen waren unstrittig. Nicht einmal beim Potsdamer Platz kam einer auf die Idee, ihn Europe Trade Center zu nennen.

Nur die verflixte Bahnhofsfrage, die macht noch immer Bauchschmerzen. Das liegt natürlich daran, dass am „???“-Bahnhof nicht nur Reisende aus Wanne-Eickel oder Suhl ankommen, sondern auch die geschätzten Gäste aus dem Ausland. Die Bahnhofsfrage ist somit auch ein Spiegel der Berliner Suche nach sich selbst, respektive seiner Außendarstellung. Und um diese Suche steht es wahrlich nicht gut, wie die Nachwendeumbenennungen des Ostbahnhofs gezeigt haben. Nachdem die DDR den ehemaligen Schlesischen Bahnhof zuerst in Ost- und später dann in Hauptbahnhof umbenannt hat, hieß es nach der Wende: Zurück auf Ostbahnhof. Hauptbahnhof, das sollte künftig einem neuen, zentralen Bahnhof vorbehalten sein. Damals hatte man sich aber noch nicht gefragt, wie sich das im Englischen anfühlt – Hauptbännhove.

Es handelt sich also auch hier wieder um einen der typisch Berlinischen Minderwertigkeitskomplexe. Man sucht nach Weltgeltung, weil hinter jeder Ecke die Provinz lauert. Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein würde dagegen auch andere Blicke auf die Namensfindung öffnen. Warum zum Beispiel nicht Westbahnhof, das wäre schön symmetrisch und man müsste, siehe Wien, nicht einmal Vergleiche scheuen. Oder warum das Ding nicht, wie in Madrid, nach dem umliegenden Stadtteil benennen? Berlin-Moabit, das wäre doch was, und wenn das nicht reicht, dann eben Berlin-Moabit-Hauptbahnhof. Aber dann könnte man natürlich gleich Lehrter Bahnhof lassen. Vielleicht mit dem kleinen Zusatz, dass Lehrte sich auf halbem Wege zwischen Paris und Moskau befindet.

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