: „Fahren Sie doch mit dem Rolli nach Bremen“
Ausfahrbare Rampen und Hublifte sollen Busse, Bahnen und Züge für Rollstuhlfahrer zugänglich machen. Ausfälle jedoch sind häufig, klagen Betroffene. Dann heißt es warten – auf den nächsten Bus
„Das ist ja zum Kotzen hier.“ Rolf Piskol hält seinen Ärger nicht zurück. Mit dem Zug wollte der querschnittsgelähmte Mann Ende vergangener Woche von Vegesack nach Bremen fahren. Doch die Hebebühne, die seinen schweren Elektrorollstuhl vom Bahnsteig in den Wagen hätte hieven können, ist angekettet. „Ich hab den Schlüssel nicht“, zuckt der Bahnbedienstete die Schultern. Und blafft zurück: „Fahren Sie doch mit dem Rollstuhl nach Bremen.“
Rollstuhlfahrer Piskol bleibt nicht zum ersten Mal am Vegesacker Bahnhof sitzen. „Neulich musste ich drei Züge abwarten“, schimpft er. Beim ersten – einem modernen Doppelstock-Zug – war die eingebaute Rampe kaputt, die Wagen der beiden folgenden Züge waren nur über mehrere Stufen zu erreichen. Zum Einsteigen hätte Piskol also die an einem Pfeiler auf dem Bahnsteig angekettete Hebebühne benutzen müssen – Pech gehabt. „Der Schlüssel für das Vorhängeschloss ist geklaut worden“, bedauert Bahn-Sprecher Norbert Giersdorff den Vorfall. Und verspricht: „Ersatz ist unterwegs.“
Klemmende Rampen, defekte Hublifte – Erfahrungen wie diese machen viele RollstuhlfahrerInnen. Anfälliger noch als die Einstiegshilfen der Bahn, so berichten sie, seien jedoch die Hublifte der Busse. „Das ist katastrophal“, sagt Silvia Nowak, die regelmäßig in Bremen-Nord unterwegs ist: „Sobald der erste Frost losgeht, frieren die ein.“ Wilhelm Winkelmeier vom Bremer Verein „Selbstbestimmt Leben“, der Beschwerden von Betroffenen systematisch sammelt, bestätigt: „Die Hublifte sind in der Tat häufiger kaputt.“
Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) hingegen, deren Busse im Stadtgebiet jeden Tag etwa 100 RollstuhlfahrerInnen befördern, ist da ganz anderer Ansicht. „Das läuft zuverlässig“, erklärt Sprecher Jens-Christian Meyer. Sollten Störungen auftreten, müssten die FahrerInnen das melden. Die Fahrzeuge würden dann entweder sofort aus dem Verkehr gezogen oder an der Endhaltestelle repariert. Das komme aber nur selten vor. Meyer: „Uns sind in dieser Hinsicht keine Beschwerden bekannt.“
Eigentlich, das gibt auch Winkelmeier zu, seien Gehbehinderte in Bremen dank der Lifte, mit denen inzwischen alle Busse und die meisten Straßenbahnen ausgestattet sind, „ganz gut bedient“. Doch so problemlos die Einstiegshilfen in der Theorie funktionieren, so vertrackt entpuppt sich ihre Benutzung oft im Detail: Sicherheitsleisten, die das Herunterrollen des Rollstuhls vom Lift verhindern sollen, klappen nicht von alleine nach unten, Kinderwagen besetzen die Stellplätze beim Rolli-Eingang, der Höhenunterschied zwischen Haltestellenpflaster und Fahrzeugboden ist manchmal selbst für die Hebevorrichtung zu groß.
Normalerweise käme ein Rollstuhlfahrer mit etwas Hilfe auch dann noch in den Bus oder Zug, wenn der Hublift defekt ist – zumindest, wenn es sich um ein Niederflurfahrzeug handelt. „Aber die Fahrer zeigen manchal überhaupt kein Verständnis“, klagt Winkelmeier. „Manche sagen dann einfach: ‚Nehmen Sie den nächsten Bus‘“, hat Silvia Nowak schon selbst erfahren.
BSAG-Sprecher Meyer wirbt um Verständnis. Einen Rollstuhl ohne die Einstiegshilfe in einen Bus zu balancieren, stelle ein „sehr hohes Risiko“ dar. Komme es dabei zu einem Unfall, hafte die BSAG. Daher seien die FahrerInnen in einem solchen Fall angewiesen, nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Im Einzelfall, so Meyer, könne es auch im eigenen Interesse der behinderten Fahrgäste liegen, auf das nächste Fahrzeug zu warten: „Dass die Hublifte in zwei Bussen hintereinander defekt sind, ist noch nicht vorgekommen.“
Armin Simon
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