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Volle Sau in trüber Plörre

Die Langstreckenschwimmer kämpfen bei der Europameisterschaft im Templiner See um Titel und mit einem grünen Teppich aus Algen

„Ich wäregeschwommen, bis ich gestorben wäre.“

von MARKUS VÖLKER

Albert Einstein hat ihn ja geliebt, den Templiner See. Vom Einstein-Turm aus genoss er einen großzügigen Panoramablick über den 150 Fußballfelder großen, nur sechs Meter tiefen See, der eigentlich ein Fluß ist: die Havel. Ob Einstein drin geschwommen ist, ist nicht bekannt. Das Wasser dürfte damals jedenfalls wesentlich sauberer gewesen sein als heute. Seit Donnerstag kämpfen die Langstreckenschwimmer in der trüben Plörre, in der es von Algen nur so wimmelt, um die Titel bei der Europameisterschaft. Die Starter müssen sich durch grünen Schleim und Entengrütze kraulen, was freilich das kleinere Problem ist. Bei einer Wassertemperatur von 17 Grad wird ein Wettkampf über 25 Kilometer zum reinen Überlebenstraining.

Die Begleitboote mussten die blaulippigen und bibbernden unterkühlten Marathonschwimmer reihenweise aus der Bundeswasserstraße 39 fischen. Die Schweizerin Nicole Weist teilte den besorgten Betreuern nach ihrer Rettung mit: „Ich bin jetzt wieder aufgetaut.“ Da die Athleten nicht in einen schützenden Neoprenanzug schlüpfen dürfen, behelfen sie sich mit zähen Schmieren, Woll- und Melkfett, um etwas gegen die Unterkühlung zu tun. Die dick balsamierten Körper legen den Verdacht nahe, ein durchgeknallter Dermatologe habe in Kooperation mit einem Hautfetischisten in den Langstrecklern seine idealen Versuchsobjekte gefunden.

Thomas Lurz kam am Samstag ganz ohne Cremes aus. Der 22-jährige Würzburger schwimmt erst seit dem vergangenen Jahr über fünf und zehn Kilometer. Er hat sich noch nie mit Vaseline gegen die Kälte gewappnet und wollte bei den Europameisterschaften auch nicht damit anfangen. Lurz hat auch gar nicht gefroren. Die fünf Kilometer gelten in der Branche als Sprint. Und Sprinter frieren nicht, weil sie, wie Lurz nach dem Gewinn der Silbermedaille sagte, „volle Sau von A bis Z gehen“. Nur beim Reinspringen sei ihm das Wasser „frisch“ vorgekommen.

Dann ist er davongezogen, erkraulte sich schnell einen Vorsprung von 20 Metern, nahm die Wendeboje als Führender, ließ den „grünen Teppich“ unter der Eisenbahnbrücke links liegen, überstand auch die Wellen der Begleitboote, die ihn „fast umgebracht“ hätten, und musste schließlich nur den italienischen Weltmeister Luca Baldini vorbeiziehen lassen.

Den Angriff des zweiten Italieners, Stefano Rubaudo, überstand Lurz. „Wenn ich schon mal vorn liege“, hatte er sich vorgenommen, „wollte ich die Position nur über meine Leiche hergeben. Ich wäre geschwommen, bis ich gestorben wäre.“ Am Sonntag belegte der Pädagogikstudent mit am Ende erlahmenden Kräften Platz vier über 10 Kilometer. Den Sieg holte sich der Russe Wladimir Diattschin.

Der zweite Platz kam für ihn „schon überraschend“. Im April erkrankte Lurz, der in seiner Freizeit so oft wie möglich auf dem Skateboard steht, an Pfeifferschem Drüsenfieber und verpasste dadurch die Norm des Deutschen Schwimm-Verbands um fünf Sekunden – auf der 1.500-Meter-Strecke. Lurz ist Beckenschwimmer. In Würzburg zählt er fleißig Kacheln. „Draußen schwimm ich nie“, sagt er. Die Langstrecke ist Zugabe, „weil ich hier erfolgreich bin“. Es sei obendrein eine „nette Abwechslung“ zur quälenden Monotonie im Pool. 2004 will er bei Olympia an den Start gehen. Im Becken.

Den Freischwimmern wurde der Olympiastatus versagt, nur einmal durften sie ihren Wettbewerb demonstrieren. Die beste Deutsche, Peggy Büchse, beendete daraufhin ihre Karriere und überließ die Seen dem Nachwuchs: Nadine Pastor zum Beispiel. Die Chemnitzer Sportschülerin schlug am Samstag als Drittplatzierte im Ziel der 5.000-Meter-Distanz an und wiederholte, zitternd in eine Decke gehüllt, danach immer nur den Satz: „Ich kann es gar nicht fassen.“ Auch sie zieht ihre Bahnen in der Halle. Ihre Zukunft sieht sie im Kreis der Hallenschwimmer. Die innige Feindschaft, die die Freischwimmer angeblich mit den wetterscheuen Kollegen verbindet, ist für Pastor und Lurz nur ein Mythos. Lurz ist nach dem Ausflug zum Templiner See nun wieder ganz froh, beim Training ein Dach überm Kopf zu haben. „Das war hier schon hart“, sagte er, „keine Wenden und keine Sicht.“ Ein hartnäckiger Fragesteller wollte noch wissen, ob er sich demnächst an die 25 Kilometer heran wagt. Lurz vertröstete ihn: „Später vielleicht einmal.“ Dann sollte er keinesfalls die Vaseline vergessen.

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