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Die Hüpfbürgerbewegung

In Deutschland wird gewahlkämpft – immer dabei: eine pulsierende Scheußlichkeit

Schweigend stehen die Erwachsenen samt Kandidat um die Hüpfburg herum

In Deutschland mag regieren, wer will – herrschen tut „Wahlkampf“, und da er das in neuerer Zeit nicht mehr sporadisch oder periodisch, sondern ubiquitär und allzeit tut, sind seinem wichtigsten Bestandteil – Ausstoß von Parolen, Phrasen, Versprechungen und Beschimpfungen – schon vor längerer Zeit die Rohstoffe ausgegangen, zumindest auf nicht-televisueller, also: „örtlicher Ebene“. Zwar karrt man die Kandidaten nach wie vor durch die Gegend und stellt sie an geeigneten Stellen wie Parkanlagen oder Biergärten neben einem Sonnenschirm ab, damit sie den Mündigkeitspulk an sein Wahlrecht gemahnen und ihm noch dringlicher die eigene Partei sozusagen körperlich nahe bringen; aber zu sagen haben die Pappkameraden aus der Berliner Hinterbank nichts mehr, was nicht schon in dutzenden Talkshows wiedergekäut worden wäre.

Damit also nicht auffällt, dass sich bei den allüberall stattfindenden „Bürger-“, „Straßen-“, „Sommer-“ und „Park-“, notfalls auch „Wein-“, „Weihnachts-“ oder „Osterfesten“ überhaupt nichts Wesentliches tut, was nicht mit Wurstverzehr, Bierkonsum, Stimmungsbeschallung und Alltagsgebrabbel hinreichend beschrieben wäre, ist man seit einigen Jahren dazu übergegangen, „Hüpfburgen“ aufzustellen, um das Stimmvolk anzulocken.

Die „Hüpfburg“ ist eine grellbunte, einfamilienhausgroße Verwandte der klassischen Luftmatratze, an drei Seiten von hohen Luft-Gummi-Wänden umgeben und in luxuriöser Ausführung auch noch mit Luft-Gummi-Türmchen bekrönt, insgesamt also eine Erscheinung, deren optische Entsetzlichkeit an moderne Parkhäuser und Einkaufszentren heranreicht und nur noch übertroffen wird von der akustischen Ausstrahlung, die einsetzt, sobald mehr als drei Kinder das Ding erblickt haben. Dann stürmen sie hinein und beginnen, na ja, zu hüpfen, was von grellen Schreien, Juchzern und – wenn mal wieder eins dem anderen mit dem Hi-Tech-Turnschuh aufs Auge gehüpft ist – Sirenengeheul unter- oder, richtig: übermalt werden muss, damit sich ein anständiger „Fun“ einstelle, den die gemietete Hallodri-Kapelle mit brachialen Interpretationen des „Hitparade“-Repertoires von 1958 bis 1970 nicht zu übertönen vermag.

Die dazugehörigen Erwachsenen samt Kandidat stehen derweil, notgedrungen schweigend, um die „Hüpfburg“ herum, sehen mit verschränkten Armen dem Ding beim wabrigen Gesamtpulsieren zu und verzerren ihre Gesichter zu einer Mischgrimasse aus erzwungenem Grinsen, Befremdung, grässlicher Langeweile und bohrender Scham – u. a. weil man selbstverständlich weiß, dass man aus der näheren Umgebung von lärmgeplagten Anwohnern durch klirrende Scheiben beobachtet und als Verursacher des plärrenden Aufzugs identifiziert wird.

Wenn sich der Nachmittag der Soap-Stunde entgegenneigt oder ein Regenguss herniederfährt, ermüdet das Japsen und Johlen. Renitente Resthüpfer werden mit Gameboys respektive Prügeldrohungen fortgeschafft, die senfverschmierten Pappteller in blaue Säcke gepresst, die Gläser eingesammelt. Der Kandidat, von dem man mit etwas Glück immerhin erfahren hat, welcher Partei er angehört, steigt in den von einem total rasierten, Gucci-bekleideten Mobiltelefondauerbenutzer bewachten Mercedes, gönnt sich womöglich eine private Seufz-Sekunde und lässt sich ins Hotel verfrachten, wo er sehr wahrscheinlich früh zu Bett geht, um anderntags „fit“ zu sein für eine Wiederholung des krausen Spektakels. Denn verinnerlicht hat er die Grundregel der parlamentarischen Moderndemokratie: Der Weg nach Berlin ist mit „Hüpfburgen“ gepflastert, alles andere Wurst.

MICHAEL SAILER

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