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Häuser fressen Hügel in Hongkong

Boden ist eine knappe Ressource auf der Landzunge von Hongkong. Der Schweizer Georg Aerni hat dort Hänge und Häuser fotografiert. Seine Bilder zeugen in der Galerie Brotfabrik von einer Urbanität, die sich ihre eigene Ästhetik geschaffen hat

Ein Hochhaus irgendwo in Hongkong. An der Fassade ein grünes Staubnetz. Statt Metallgerüsten sind Bambusrohre aufgestellt. Der Schweizer Georg Aerni hat die Ansicht fotografiert und in ihrer flächigen Dimension erfasst. Ein Rechteck, von Linien geteilt, ist eher zu erkennen als die Baustelle. Löchrig ist der Asphalt. Drei dünne Bäume sind auf Mittelachse zentriert. Ideal der Bildaufbau.

Die Urbanität einer Gigametropole hält Aerni in seiner Serie „Slopes & Houses“ fest. Hänge und Häuser. Die Reihe entstand vor gut zwei Jahren als drittes Städteprojekt des Fotografen nach „Panoramas parisiens“ (Paris) und „Xamfrans“ (Barcelona). Der Zyklus aus groß- und mittelformatigen C-Prints ist zurzeit in der Brotfabrik zu sehen.

Die bei Reisen auf der Halbinsel Hongkong entstandenen Arbeiten zeigen ausschnitthaft anonyme Wohnhochhäuser. Die Hänge wurden entweder an den Bildrand gestellt oder als selbstständiges Motiv gewählt. Weder Fundament noch Dachabschluss hat die Kamera für gewöhnlich aufgenommen. Die zahllosen Balkone in verwaschener Farbe, in bleichem Beige, Rosa, Türkis stellen das Ornament. Fast immer durchbrochen von Treppen. Etagenklötze eines überdimensional riesigen Monopolyspiels in der Landschaft. Zwischen den Betonmonstern klafft die Straße. Passanten, vom Einkauf kommend, sind zufälliges Beiwerk. Links der Fels, rechts das Grün und winzig das Schild: „Lai Kong Street“.

Aerni beweist ein waches Auge. Er hat sich mit der Stadt auseinander gesetzt und die topografische Stadtkarte zur Hand genommen. In der Aufsicht liest er sein Objekt im Stadtplan, in einem Storyboard notiert er sich mögliche Standorte und Blickachsen. Recherche geht also seinen Projekten voraus. Dabei hält er die baulichen Notwendigkeiten fest, die in Hongkong vor allem eines bedeuten: Die knappen Bodenressourcen werden ausgeschöpft, die Hügel erobert und natürliche Vegation getilgt. Auf Erosion reagiert die Baubehörde mit Betoneinfassungen des Bodens. Die Landzunge von 18 Kilometer Länge und höchstens 8 Kilometer Breite boomt. Die Bevölkerungszahl explodiert. Damit immer mehr Menschen wohnen können, wächst Hongkong, die Stadt, und nimmt sich ihr Terrain ohne zu fragen. Ufer und Urwald weichen der Urbanisierung. Die Besiedlung dieser Hänge („Slopes“) führt zu bizarren Betonmaßnahmen. Die Stadtverwaltung zählt etwa 54.000 solcher Halden.

Ein Paradestück der „asiatischen Stadt“, gekennzeichnet von Kontrasten und Heterogenität, nennt Rem Koolhaas, Initiator der neuen Moderne in der niederländischen Architektur, Hongkong im Ausstellungskatalog. Häuser und Hänge zum Beispiel, wie auf einer Baustelle, die bei Aerni lediglich anhand vereinzelt flatternder Sicherungsbänder zu erkennen ist. Bambus stützt wieder den Absturz, diesmal als quadratisches Gitter und teilweise wie in einem Mikadospiel verstrebt. Ein anderes Foto lässt die Böschung eines kleinen Waldes ausmachen, wenn es so etwas in der Megalopolis überhaupt noch gibt. Plastikplanen hat jemand ausgebreitet und mit Steinen befestigt. Blauweiße Streifen geben das Muster und wogen die Bildkonstruktion hinab.

„Slopes & Houses“ zeichnet die Schau nicht als Gegensätze, sondern als Zweckgemeinschaft. Das eine bedingt das andere. Auf die Beschaffenheit der Natur reagiert die Architektur des Wohnens. Ein Hochhaus, in den Hügel gestellt, blassfarben die Details: Wäsche rankt an dünnen Stäben. Ein einziges Mal reihen sich perspektivisch Automobile, aber sonst sind es Löcher im Beton, Risse darin, Holz darüber. Die Linse hat solche Nischen im Sucher, die der Architekturfotograf entdeckt zu haben scheint: keine pulsierenden Straßen, keine bunten Lichter und keine verwischten Bewegungen in der Nacht. Stets bleibt die Tiefenschärfe gleich, während die Dokumentation von urbanem Aufriss entsteht. Unspektakulär, erschreckend und irgendwie schön. OLIVER RUF

Bis 4. August, Mi.–So. 16–21 Uhr, Galerie Brotfabrik, Caligari-Platz 1, Pankow

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