: Gegen europaweite Vergreisung
Im Jahr 2050 gebe es mehr Rentner als Arbeitnehmer. Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank meint, Deutschland brauche viermal so viel Zuwanderer wie bisher. Asyl sollen soziale Einrichtungen oder Firmenstiftungen zahlen
aus Frankfurt am MainKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter, macht sich Sorgen: wegen der latent abnehmenden Bevölkerungszahlen in den Ländern der Europäischen Union (EU) und der „Ergrauung“ ihrer Einwohner. Im Jahre 2050 werde die Bevölkerung etwa in Deutschland von heute rund 80 Millionen auf unter 70 Millionen geschrumpft sein. Das jedenfalls befürchten die Autoren der von der Deutschen Bank in Auftrag gegebenen Studie „Die demographische Herausforderung“, die Walter gestern in Frankfurt vorstellte.
Herausgefordert seien in erster Linie Politik und Wirtschaft. Geschehe nichts, so Walter, werde in Ländern mit sinkenden Bevölkerungszahlen – wie in Deutschland oder auch in Italien – die Zahl der Rentner die der Erwerbestätigen schon bald erreicht haben. Kommen in Deutschland heute 38 Rentner auf 100 Erwerbstätige, seien es im Jahre 2050 schon 77. Rentner bauten ganz bestimmt keine Häuser mehr oder kauften keine neuen Computer. Auch die Renditen für Finanzanlagen wie Aktien und Renten schrumpften. Und bei dramatisch sinkenden Bevölkerungszahlen lohne sich auch die Anschaffung einer Immobilie als Kapitalanlage nicht mehr. Der Volkswirt ist sich sicher: „Das Kapital wird wegen der zunehmenden Knappheit des Produktionsfaktors Arbeit ohnehin bald aus Europa in jüngere Länder mit Wachstumspotenzial abwandern.“
Walter will die „Bruttozuwanderung“, und die müsse europaweit gesteuert werden. Etwa viermal mehr Zuwanderer als bisher brauche alleine Deutschland, um das demoskopische Kernproblem wenigstens im Ansatz lösen zu können. Damit das von der Bevölkerung auch akzeptiert werde, müsse die EU dafür sorgen, dass nur solche Menschen zuwanderten, die von den Volkswirtschaften hier gebraucht würden. Die kämen vor allem aus Afrika und seien mit Zeitverträgen auszustatten, so Walter.
Asyl soll es noch geben. Aber bezahlen sollen das soziale Einrichtungen oder Stiftungen von Firmen, die später dann die anerkannten Asylbewerber auch beschäftigen dürften. Wäre unser Sozialsystem „nicht so komfortabel ausgestattet“, so Walter, könnten auch Langzeitarbeitslose in einem noch zu schaffenden „Billiglohnsektor“ wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Von einer Erhöhung des Kindergeldes hält er dagegen nichts. Damit sich beruflich erfolgreiche Männer und Frauen aber wieder verstärkt für Kinder entscheiden könnten, forderte Walter von der Politik neue Rahmenbedingungen und von der Wirtschaft mehr Flexibilität: „Weg aus der Kaserne und hin zur virtuellen Fabrik“. Frauen könnten dann zu Hause am Bildschirm „Kind und Karriere in Einklang bringen.“ Draußen gab es danach Häppchen – mit US-amerikanischen Fähnchen drauf. Wegen ihrer vielen jungen Immigranten wächst die US-Gesellschaft nämlich weiter. Sie vergreist als einzige der westlichen Industrienationen nicht.
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