: „Ich denke nicht, dass Gysi Marxist ist“
PDS-Parteichef Stefan Liebich hat vergeblich versucht, Gregor Gysi vom Rücktritt abzuhalten. Der Anlass und die Reaktion stünden in keinem vernüftigen Verhältnis. Gysis moralische Begründung nimmt er ihm aber ab
taz: Herr Liebich, wo haben Sie denn von Gregor Gysis Rücktritt erfahren?
Stefan Liebich: In London. Auf dem Rückflug von meinem Urlaub in New York landete ich auf dem Flughafen Heathrow. Da war ich wieder im heimischen Handynetz und erhielt eine Nachricht von Genossen: Ich möge doch ganz, ganz schnell mit Gregor Gysi sprechen.
Sie haben ihn angerufen?
Ich habe versucht, ihn von seinem Schritt abzuhalten: Der Anlass, die Flugmeilen, und seine Reaktion, der Rücktritt, stehen doch in keinem vernünftigem Verhältnis! Ich sagte ihm auch, dass ich meine, sein Rücktritt bedeutet einen ernormen politischen Schaden für die PDS. Aber alles Argumentieren fruchtete letztlich nicht.
Welche Bedeutung hatte der Mensch Gysi für Sie persönlich?
Als ich 1990 in die PDS eintrat, war Gysi Parteivorsitzender. Das war die Phase, in der sich die PDS, so wie sie heute ist, gebildet hat. Die PDS ist durch Gysi geprägt worden wie durch niemanden sonst. Ich möchte sogar behaupten: Dass die PDS in der heutigen Form existiert und dass sie überhaupt noch existiert, liegt an der überragenden Person Gregor Gysi, die damals aktiv war. Seine aktuelle Entscheidung finde ich falsch. Aber seine großen Verdienste bleiben.
Beschreibt die Größe der Verdienste Gysis auch die Dimension der Krise nach seinem Abgang?
Nein. Mittlerweile sind neben Gysi andere Politiker ins Rampenlicht getreten, die ihre Aufgaben gut bewältigen. Die PDS muss auch ohne Gysi in der Lage sein, Politik zu machen.
Warum argumentiert Gysi, ein Politiker aus einer Partei mit marxistischem Hintergrund, so rigoros moralisch?
Ich denke nicht, dass Gysi Marxist ist. Und seine moralischen Argumente nehme ich ihm ab. Er glaubt daran. Seit ich ihn kenne, hat er sich selbst immer mit besonderen moralischen Maßstäben gemessen.
Wer wird Gysis Nachfolger?
Er muss Ahnung von Wirtschaft haben und politische Erfahrung aufweisen.
Über diese Kriterien hinaus wissen Sie noch nichts?
Es wäre nützlich, käme der Kandidat aus Berlin. INTERVIEW: ROBIN ALEXANDER
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