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„Tiefer Eingriff in die Rechte der Rentner“

Union-Kompetenzkandidat Horst Seehofer macht bei der Rente überall Willkür aus – und prognostiziert neue Klagen

taz: Herr Seehofer, Zeitungen berichten, dass Sie den deutschen Rentnern eine Milliarde Euro nachzahlen wollen.

Horst Seehofer: Ich habe nur gesagt, dass wir prüfen werden, ob wir die Rentenanpassung 2000 nachträglich korrigieren können. Das hängt von den rechtlichen Möglichkeiten ab – und von den Finanzen der Rentenkassen. Aber es war ein tiefer Eingriff in die Rechte der Rentner, dass sie damals nur einen Inflationsausgleich von 0,6 Prozent bekommen haben.

Das Bundessozialgericht hält dies für rechtmäßig.

Für mich ist dieses Urteil schwer nachvollziehbar. Denn die Renten wurden im Jahr 2000 nicht nur von der Entwicklung der Nettolöhne entkoppelt und an die Inflationsrate angepasst – man hat auch willkürlich die Inflationrate des Vorjahres 1999 herangezogen, weil sie da besonders niedrig ausfiel.

Wird die Union vor dem Bundesverfassungsgericht klagen?

Das prüfen schon die Sozialverbände.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber mehrfach Veränderungen in der Rentenformel zugelassen. Glauben Sie, dass eine Klage Erfolg hätte?

Es geht überhaupt nicht um die Frage des Gestaltungsspielraums. Den hatte die Bundesregierung. Aber so ein tiefer Eingriff in die Rechte der Rentner braucht eine saubere Rechtsgrundlage. Und die war nicht gegeben, weil die Verordnung zum Gesetz fehlerhaft war.

Aber ist nicht nur eine kleine Formel strittig – eine Formel, die die Regierung Kohl auch benutzt hat?

Ja, aber im Jahr 2000 gab es keine normale Rentenanpassung. Das stellt an die Rechtsgrundlage schärfere Anforderungen.

Die Rentner scheinen nicht geschädigt worden zu sein. Sie haben seit 1998 durchschnittlich 1,53 Prozent mehr erhalten, während es in den letzten vier Regierungsjahren von Kanzler Kohl nur 0,9 Prozent waren.

Aber die Renten hätten in den letzten Jahren wegen der Nettolohnentwicklung stärker steigen müssen. Arbeitsminister Riester hat es heute ja zugegeben: Durch seinen Eingriff im Jahr 2000 sind den Rentnern 2,5 Milliarden Euro vorenthalten worden.

Sonst keine Einwände?

Ein anderes Beispiel von Willkür: Ab 2003 will ja Arbeitsminister Riester die Renten schrittweise um 4 Prozent absenken. Sein Argument: Auch das Einkommen der Arbeitnehmer würde um 4 Prozent sinken, weil sie privat für ihre Renten vorsorgen müssen. Nur, Fakt ist: Viele Arbeitnehmer schließen keine private Rentenversicherung ab. Also verlieren die Arbeitnehmer real weniger Einkommen als die Rentner. Nächstes Jahr werden deswegen Millionen von Rentnern klagen. Da wette ich mit Ihnen.

Lieber nicht.

Würde auch teuer für Sie.

Und wird es nicht auch für Sie zu teuer? Sie prüfen, ob Sie einen Nachschlag zahlen – und die Ökosteuer wollen Sie auch abschaffen. Aber sie finanziert zum Teil die Renten.

Bei der Ökosteuer ist alles sonnenklar. Die Rentenversicherung müsste etwa 3 Milliarden Euro aus den Steuermitteln erhalten. Das ist ein Prozent des Bundeshaushalts, die umgeschichtet werden müssen. Das machen Familien oder Unternehmen jeden Tag.

Aber Deutschland hat jetzt schon Mühe, die EU-Stabilitätskriterien einzuhalten. Wo sehen Sie Einsparpotenziale?

Na, zum Beispiel bei der Weiterbildung für Arbeitslose. Die kostet jährlich 7,7 Milliarden Euro – und zwei Drittel der Kursteilnehmer bleiben arbeitslos.

5 Milliarden Euro davon finanzieren den Lebensunterhalt der Kursteilnehmer.

Das stimmt. Aber 2,2 Milliarden Euro für die Weiterbildung sind auch zu viel, wenn sie nichts bewirken. Die wären viel besser angelegt für eine Mittelstands- und Innovationsoffensive im Osten. 500.000 neue Stellen bringen 11,5 Milliarden Euro für die Sozialkassen und den Steuersäckel.

Und wenn keine Stellen entstehen?

Das ist eine typisch deutsche Diskussion. Wir brauchen eine Dynamik für Wachstum und Beschäftigung.

Aber das hat doch schon in Ihrer Regierungszeit unter Kohl nicht geklappt.

Weil die SPD im Bundesrat unsere Reformen verhindert hat. Aber jetzt sind sie zum Beispiel plötzlich genauso dafür wie wir, die Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose zu verschärfen.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN

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