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„Beträchtlicher Schaden“

Parteienforscher Stöss hält niemanden in der PDS für einen tauglichen Wirtschaftssenator. Gysis Rücktritt schade der Partei, der Medienhype aber bringe sie über die Fünfprozenthürde

Interview ANETT KELLER

taz: Gregor Gysi ist der Meinung, sein Rücktritt nutze der Partei mehr, als er ihr schade. Stimmen Sie mit ihm überein?

Richard Stöss: Nein, ich glaube vielmehr, dass die PDS durch seinen Rücktritt vor allem in der Bundestagswahl ein Handikap hat. Der Schaden ist beträchtlich.

Hat sich die PDS zu sehr auf ihn verlassen?

Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass die PDS jetzt ohne ihn am Ende ist. Die PDS ist keine One-Man-Show. Aber Gysi hatte vor allem bei Wahlkämpfen eine wichtige Funktion für die Partei. Er war ja weniger für das Stammpublikum zuständig, sondern war derjenige, der der PDS neues und vor allem auch jüngeres Wählerpotential zugeführt hat. Er verstand es auch, Wechselwähler zu binden. Das konnte man bei der Berliner Wahl gut sehen, bei der viele von der CDU „übergelaufen“ sind. In dieser Funktion ist er nicht ersetzbar.

Gysi und die Regierungsbeteiligung in Berlin sollten das Tor für die PDS in den Westen sein. Ist das jetzt zu?

Die PDS hat dort in der Tat ihre Wahlkampflokomotive verloren. Gysi stand für die Akzeptanz einer Regierungsbeteiligung und einer halbwegs soliden Politik. Nun ist er weg, die Westausdehnung wird dadurch nicht leichter.

Ist Gysis plötzlicher Rücktritt auch ein schlechtes Zeugnis für den rot-roten Senat in Berlin?

Natürlich fällt dieser Rücktritt auf den Regierenden Bürgermeister zurück, und Klaus Wowereit ist offenbar sehr enttäuscht. Er ist mit all seinen Projekten bisher nicht sehr weit gekommen. Dass ihm nun auch noch der Strahlemann Gysi abhanden kommt, ist natürlich schlecht für sein Ansehen.

Ist der Erfolg oder Misserfolg des rot-roten Senats in Berlin mitentscheidend für die Bundestagswahl?

Die WählerInnen unterscheiden schon nach Landtags- und Bundestagswahlen. Aber es könnten sich zwei Unzufriedenheiten überschneiden: Die enttäuschte Hoffnung auf den Aufschwung in Berlin und die Enttäuschung über Rot-Grün auf Bundesebene.

Sitzt die PDS nach dem 22. September noch im Bundestag?

Gysis Rücktritt hat ja dazu geführt, dass die PDS wieder massiv in den Medien ist, was vorher nicht der Fall war. Der Effekt ist vergleichbar mit der „Rote-Socken-Kampagne“ von 1994 und könnte wieder zu einem Mitleidseffekt führen. Was da im Augenblick läuft, kann also sogar eine mobilisierende Funktion haben. Ich kann mit nicht vorstellen, dass Gysi das bei seinem Rücktritt nicht auch im Hinterkopf hatte.

Sie sehen also keine Gefahr, dass die PDS an der Fünfprozenthürde scheitert oder eben die wichtigen Berliner Direktmandate nicht holt?

Ich gehe davon aus, dass die PDS über fünf Prozent kommt. Sie hat nach wie vor einen soliden, hoch mobilisierten Wählersockel. Außerdem ist sie in der Lage, unzufriedene Wähler zu mobilisieren. Mein Eindruck ist, dass es Rot-Grün-Enttäuschte gibt, die zur PDS wechseln. Bei den Direktmandaten könnte es durch den Neuzuschnitt der Wahlkreise aber problematisch werden.

Zunächst mal sucht die PDS händeringend nach einem neuen Wirtschaftssenator. Wer wäre Ihr Idealkandidat?

Mit dieser Frage überfordern Sie mich. Ich weiß nur eins: Wenn die PDS keinen hervorragenden Personalvorschlag macht, macht sie sich lächerlich. Ich sehe im Rahmen der PDS niemanden, der auch nur annähernd in der Lage wäre, dieses Amt auszufüllen. Deswegen wäre eine externe Lösung das Beste.

Wie bewerten Sie die Chancen von Harald Wolf?

Ich hielte das für eine schlechte Lösung. Wolf ist ein hervorragender Fraktionsvorsitzender, der den Laden zusammenhalten kann. Aber ein Leuchtturm wie Gysi ist er nicht.

Ist Stefan Liebich ein ernst zu nehmender Kandidat?

Na ja – der muss erst noch ein bisschen wachsen. Er verfügt noch nicht über das Persönlichkeitsprofil, das für ein so wichtiges Amt nötig ist. Er müsste ja auch im Abgeordnetenhaus gewählt werden. Und da will auch die SPD einen „Big Shot“ sehen.

Gibt es nach Gysi irgendjemand in der PDS, der die nötige Ausstrahlung hat und Wirtschaftskompetenz vermitteln kann?

Gysi hatte ja auch kein Stück Wirtschaftskompetenz. Ich wäre, bevor er Senator wurde, überhaupt nicht auf die Idee gekommen, ihn mit irgendeinem Politikbereich zu identifizieren. Er war ein guter Kommunikator und konnte gut mit Investoren reden. PDS und Wirtschaft, das ist überhaupt eine der spannendsten Fragen. Weil die PDS ihr Verhältnis zur Marktwirtschaft immer noch nicht geklärt hat. Solange das nicht geschieht, kann in dieser Partei niemand Wirtschaftskompetenz haben.

Steht uns am Ende doch noch eine Kabinettsumbildung bevor?

Wenn die PDS es nicht schafft, einen überzeugenden Kandidaten zu präsentieren, bleibt Wowereit gar nichts anderes übrig, als selbst in die Personalkiste zu greifen.

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