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Härtere Gangart gegen Rechte

Die „nächste Generation von Rechten“ schlägt schon wieder zu

von HEIKE KLEFFNER

Der Vorwurf trifft sonst eher Linke: „Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches. Auf der Anklagebank der Großen Kammer des Landgerichts Dresden jedoch werden am Montag sieben bekennende Neonazis sitzen, allesamt aus dem engsten Aktivistenkreis der „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS). In Untersuchungshaft sitzt keiner der Angeklagten, denen auch Delikte wie Landfriedensbruch und Körperverletzung vorgeworfen werden.

Das Kürzel SSS steht in Städten wie Königsstein und Pirna sowie den umliegenden Dörfern für Angst und Terror gegen alle, die nicht ins rechte Weltbild passen. Am Aufbau der „Skinheads Sächsische Schweiz“ beteiligt waren ab 1996 auch ehemalige Aktivisten der verbotenen Wiking Jugend. Zunächst sahen die Behörden untätig zu, als Skinheadgruppen in Tarnuniformen durch Wälder und Schluchten entlang der Elbe robbten, „Feldschlachten“ veranstalteten und gezielt Feindlisten von jungen Linken abarbeiteten. Ihr Ziele vertraten die SSS ganz offensiv: Es galt, die Sächsische Schweiz von „Zecken“, „Ausländern“ und „Drogenabhängigen“ zu säubern.

Drei besonders schwere Vorfälle aus den Jahren 1998 und 1999 sollen nun im Rahmen des Dresdner Prozesses aufgeklärt werden, darunter im Juli 1998 ein Überfall von Vermummten auf linke Jugendliche, die am Elbufer bei Pirna einen Grillabend verbrachten.

Die Opfer erlitten teilweise schwere Kopfverletzungen, ein junger Mann wurde in den Fluss gestoßen. Zwei Monate später schlugen Rechte im nahe gelegenen Kurort Gohrisch zu. Sie gingen laut Zeugenaussagen mit Baseballschlägern, Schlagstöcken und Zaunlatten auf junge Linke los, die auf dem Weg zu einer Dorfdisco waren.

Im Mai 1999 erreichte der Terror dann einen Höhepunkt, als knapp zwei Dutzend Vermummte die verbliebenen Besucher eines Konzerts in einem Fabrikgebäude in einem Vorort von Pirna überfielen, misshandelten und danach entkamen. Die Ermittler vermuten, dass die Täter ihr Vorgehen quasi militärisch geplant und Alibis schon im Vorfeld abgesprochen hätten.

Die Opfer erinnern sich, wie auf Kommando eines Anführers zugeschlagen worden sei. Auf entsprechende Anweisungen hätten sich die Angreifer danach blitzschnell wieder zurückzogen. Die Vermummung mit Skimützen habe nicht nur die Identifizierung verhindert, sondern vor allem Angst und Schrecken verbreitet.

Erst nach dem letzten Überfall im Mai 1999 reagierten die Sicherheitsbehörden. Die Sonderermittlungsgruppe „Elbsandstein“ wurde eingerichtet. Sie stieß auf pikante Details, die vor allem deutlich machten, dass die jungen Männer der SSS und ihrer zwei „Aufbauorganisationen“ – in die Jugendliche unter 18 Jahren eingegliedert wurden, die sich mit Mutproben und Angriffen beweisen mussten – aus der Mitte der dörflichen und kleinstädtischen Gesellschaften kommen, als Schüler, Lehrlinge, Sozialarbeiter und Angestellte ihr Auskommen haben und über beste Verbindungen verfügen – von der rechtsextremen NPD bis hin zu Verwandten, die beim Bundesgrenzschutz und der Polizei arbeiten. Bislang blieben Vorwürfe, Letztere hätten vor Razzien und Kontrollen gewarnt, unwidersprochen.

Im Frühjahr und Spätsommer 2000 förderten dann rund 200 Polizeibeamte bei zwei groß angelegten Razzien gegen zunächst 65 Beschuldigte Erschreckendes zutage: Neben detaillierten Plänen für die Erstürmung eines Jugendtreffpunkts in Pirna und Unmengen rechten Propagandamaterials stellten die Polizisten auch zwei Kilogramm Sprengstoff, Granaten- und Raketenteile sowie massenhaft Munition für Waffen aller Kaliber sicher.

Ermittler vermuten, dass die Täter ihr Vorgehen quasi militärisch planten

Die erhoffte abschreckende Wirkung der Polizeimaßnahmen im Jahr des „Aufstands der Anständigen“ hielt sich nach Meinung von lokalen Beobachtern zunächst in Grenzen. Ungerührt vom wachsenden Aufbegehren der Bürger veranstalteten die Rechten kurze Zeit später eine konspirativ vorbereitete Wintersonnenwendfeier mit 200 Teilnehmern und rekrutierten in eigenen Schülerzeitungen und auf Faschingspartys immer jüngere Teenager. Im April vergangenen Jahres erließ das sächsische Innenministerium daraufhin ein SSS-Verbot. Ausführlich wird darin auf die Einschüchterungsmaßnahmen gegen Andersdenkende und Ausländer eingegangen. Bevorzugtes Ziel neben jungen Linken: Der „Antalya Grill“ der türkischen Migrantenfamilie Sendilmen in der Fußgängerzone von Pirna. In einem internen Schreiben der SSS heißt es dazu, dass „davon ausgegangen werden muss, dass sich in den Räumen über dem Geschäft (der Familie Sendilmen, Anm. d. R.) regelmäßig linke Gewalttäter treffen […]. Über Lösungen des Problems durch Söldner sollte nachgedacht werden.“

Die Sendilmens haben Pirna inzwischen verlassen. Die Angeklagten im SSS-Verfahren hingegen zeigen sich derzeit nach außen hin unbeeindruckt von den Vorwürfen, die ihnen im Fall einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft einbringen können. Einige treten weiterhin offensiv bei rechten Aufmärschen in der Region auf.

Und obwohl die markanten schwarz-weißen Aufnäher „Member SSS“ auf den Jacken der Skins verschwunden sind: Wenn sie, wie vor zwei Tagen auf dem Marktplatz von Pirna, organisiert bei alternativen Veranstaltungen auftreten, sind deren Besucher nach wie vor eingeschüchtert. „Auch wenn sich das gesellschaftliche Klima in Pirna inzwischen um einiges gebessert hat, haben viele Zeugen noch immer Angst“, sagt Sebastian Reißig von der Aktion Zivilcourage.

Nicht ohne Grund. Zwar hat die Sonderkommission Rechtsextremismus inzwischen eine eigene Zweigstelle in Pirna eingerichtet, diskutieren Bürgermeister und Lehrer mit der Aktion Zivilcourage über Gegenmaßnahmen. Aber die „nächste Generation von Rechten“ schlägt schon wieder zu. Wöchentlich registriert die Aktion Zivilcourage in Pirna und Umgebung Übergriffe mit einschlägigem Hintergrund. Jetzt hofft Sebastian Reißig, dass mit dem Prozess in Dresden zumindest ein Zeichen gesetzt wird: „Dass auch die vermeintlich Unangreifbaren Konsequenzen fürchten müssen.“

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