: berliner szenen Krise? Welche Krise?
Volle Häuser
Die Zeichen stehen auf Sturm, keine Frage. Krisen hier, Krisen dort: in der Metallindustrie, in Mitte, bei der Musikindustrie, an der Börse. Und auch bei Verlagen und Zeitungen, also bei uns, so ein Mist. Klar, dass man da mit Kollegen zusammensitzt, um die Krisen zu deuten und zu bewältigen. In der Lychener Straße zum Beispiel, nicht im Weinstein und nicht im Drei, Schirrmacher bewahre, sondern in einer Bar, die etwas von einem Nachbarschaftsladen hat und das Beck‘s für 1,50 Euro verkauft. Aber immerhin auf der Lychener, nicht weit vom Helmholtzplatz, dem Nachfolger des Kollwitzplatzes.
Das ist deswegen bemerkenswert, weil hier auch unter der Woche von Krisenstimmung keine Spur ist. Wie an der Schnur gezogen, reihen sich die Läden von der Danziger Straße aus beidseits die Lychener entlang, und wer an heißen Sommertagen nach acht Uhr kommt, hat Schwierigkeiten, draußen noch einen Platz zu bekommen. So schlimm, dass man aus finanziellen Gründen zu Hause Dosenbier trinken und Dosenravioli essen muss, ist es dann doch nicht – auswärts saufen geht noch, beim Inder essen auch. Manche Cafés rüsten sogar auf. Das altehrwürdige Wohnzimmer am Helmholtzplatz hat neuerdings einen Raum mehr mit einer Cocktailbar und ein paar Gartenmöbeln. Und auch das Bergstüb’l in der Veteranenstraße, der Renner vom letzten Jahr, als alles irgendwie noch gut war, ist voll wie immer. Das Bergstüb’l bewältigt den Ansturm ebenfalls mit zwei neuen Nebenräumen, die den Charme einer kahlen, schimmeligen WG-Küche haben und von fern an das Drogenzimmer im einstigen Ex ’n’ Pop erinnern. Dass diese Räume aber bald leer bleiben und wieder eingespart werden müssen – im Leben nicht.
GERRIT BARTELS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen