: Namen müssen auf den Tisch
Auf Anordnung eines US-Bundesgerichts muss die Regierung in Washington die Identität aller seit dem 11. September inhaftierten Verdächtigen preisgeben
WASHINGTON afp ■ Menschenrechtsgruppen haben der US-Regierung eine empfindliche Niederlage zugefügt: Auf Anordnung eines Bundesgerichts vom Freitag darf Washington die Namen der seit dem 11. September inhaftierten Verdächtigen nicht länger geheim halten. Richterin Gladys Kessler urteilte, dass die Regierung eine Liste aller Verdächtigen und ihrer Anwälte in den „kommenden 15 Tagen“ veröffentlichen müsse.
Die geheimen Verhaftungen widersprächen den Prinzipien der Demokratie und stünden den fundamentalen Werten einer freien und offenen Gesellschaft entgegen, begründete Kessler ihre Entscheidung nach dem „Gesetz zur Informationsfreiheit“ („Freedom of Information Act“). Das Verteidigungsministerium hatte gewarnt, eine Veröffentlichung der Namen würde die Ermittlungen gefährden. Kessler hielt diesen Einwand jedoch nicht für plausibel: Nach elf Monaten sei es äußerst unwahrscheinlich, dass die Hintermänner nicht wüssten, wer aus ihren Organisationen in der Händen der US-Behörden sei.
Ausnahmen will die Bundesrichterin nur gelten lassen, wenn eine Veröffentlichung in Einzelfällen gerichtlich untersagt ist oder die Betroffenen anonym bleiben wollen. Angaben zu Festnahmen und Aufenthaltsorten der Gefangenen dürften weiterhin geheim gehalten werden.
Das US-Justizministerium bedauerte die Entscheidung des Washingtoner Gerichts und behielt sich vor, „alle Möglichkeiten zu prüfen“, um gegen das Urteil vorzugehen. Die Entscheidung des Gerichts behindere „eine der wichtigsten polizeilichen Untersuchungen der Geschichte“, schade „unseren Bemühungen, die Verantwortlichen der hasserfüllten Anschläge vom 11. September der Justiz zu überantworten, und erhöhe das Risiko terroristischer Bedrohung gegen unser Land“, hieß es.
23 Organisationen und Menschenrechtsgruppen – darunter amnesty international (ai), Human Rights Watch, das Komitee der Reporter für die Pressefreiheit und Anwaltsverbände – hatten gegen das US-Justizministerium geklagt. Die meisten der im Zusammenhang mit dem 11. September und dem Krieg in Afghanistan Gefangenen werden auf der US-Militärbasis Guantánamo auf Kuba festgehalten.
Im Oktober vergangenen Jahres hatte US-Justizminister John Ashcroft ihre Zahl mit „etwa 1.000“ angegeben. Nach offiziellem Angaben vom November waren es 1.182. Von den 751 Gefangenen, die wegen Verstößen gegen US-Einwanderungsvorschriften einsaßen, waren Mitte Juni noch 74 in Gefangenschaft. Die Zahl der festgehaltenen Zeugen wurde hingegen nie veröffentlicht. Darüber hinaus gab das US-Verteidigungsministerium die Zahl der in Afghanistan festgenommenen mutmaßlichen Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Mitglieder mit 534 an.
Bislang wurde nur ein Häftling namentlich bekannt: der Franzose Zacarias Moussaoui. Er muss sich vor Gericht verantworten, weil die US-Strafverfolgungsbehörden ihn für den „20. Mann“ der Luftpiraten vom 11. September halten. „Bis zum heutigen Tag weiß die Öffentlichkeit nicht, wie viele Menschen im Zusammenhang mit den Ermittlungen verhaftet oder festgenomen wurden, noch, wer sie sind, wo sie sind und ob sie von einem Anwalt vertreten werden“, kritisierte Kessler in ihrem Urteil.
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