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Die innere Sicherheit des Otto S.

Die Union verzichtet auf einen Law-and-Order-Wahlkampf, um den Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nicht noch populärer zu machen

von CHRISTIAN RATH

Ist Deutschland ganz anders als Frankreich? Während dort bei der Präsidentenwahl die „innere Sicherheit“ Haupt-Wahlkampfthema war, scheint sie bei der Bundestagswahl kaum eine Rolle zu spielen. Dabei hätte die CDU mit Edmund Stoiber, dem langjährigen bayerischen Innenminister, doch einen schneidigen Kandidaten für einen Law-and-Order-Wahlkampf zu bieten.

Auch am Unionsprogramm, das griffige Parolen und vollmundige Versprechungen bietet, kann es nicht liegen. „Alle Menschen in Deutschland sollen sich vor Kriminalität und Terror sicher fühlen können“, heißt es da etwa. Oder: „Die Bürger haben Anspruch auf einen starken Staat.“ Dazu eine Vielzahl an Einzelforderungen: von der Kronzeugenregelung über Demonstrationsverbote am Brandenburger Tor bis zur DNA-Erfassung aller Sexualstraftäter. Hat nicht Ronald Schill mit ähnlichen Themen in Hamburg den Wahlkampf dominiert?

Doch im Bund gibt es für die Union zwei Probleme. Zum einen sinkt derzeit die Kriminalitätsrate, sowohl bei schweren Delikten wie Mord als auch in der Alltagskriminalität wie bei Auto- und Taschendiebstählen. Schwerer wiegt aber das Problem, das Otto Schily heißt. Der Innenminister gilt in der Bevölkerung zwar als harter Hund, der als ehemaliger Strafverteidiger aber nicht über die Stränge schlägt. Auch bei potenziellen Unionswählern kommt das gut an.

Deshalb vermeidet die Union derzeit alles, was Schily ins Rampenlicht rücken könnte. Selbst das von der Bild-Zeitung angebotene Kampagnenthema „Mehmet“ hat die Union nach wenigen Tagen wieder einschlafen lassen. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass der für innere Sicherheit zuständige Günther Beckstein als Letzter in Stoibers Kompetenzteam aufgenommen wird.

Umgekehrt muss aber auch die Union keine Angst vor einem Schily-Wahlkampf haben. Denn gerade im rot-grünen Lager hat der Innenminister viele verschreckt. So konnten die Grünen in der Sicherheitspolitik nicht die erwartete Liberalisierung durchsetzen, sondern nur hier und da mal eine Maßnahme aufhalten, etwa die von Schily geplante Ausweisung von Ausländern aufgrund bloßen Terrorismusverdachts.

Richtig große Streitpunkte sind im Bereich der inneren Sicherheit derzeit auch nicht in Sicht. Die Debatte dreht sich meist um Details, die nur Insider durchschauen. Wer etwa weiß noch, woraus Schilys „Sicherheitspaket II“ bestand? Zwar hat der Innenminister damit „entschlossen“ auf den Al-Qaida-Terror reagiert, und die Bürgerrechtler haben erschreckt vor dem „Ende des Rechtsstaats“ gewarnt. Doch schon ein halbes Jahr später redet kein Mensch mehr davon. Und das nicht zu Unrecht.

Gesellschaftliche Weichenstellungen sind dagegen in der Drogenpolitik zu erwarten. Mit dem Modellversuch zur kontrollierten Heroinabgabe hat Rot-Grün einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht. In der nächsten Wahlperiode kommt es darauf an, aus dem Versuch einen neuen Umgang mit Schwerabhängigen zu entwickeln. Die Grünen hoffen außerdem, endlich die Legalisierung von Haschisch durchzusetzen – auch wenn die SPD hier nach wie vor mauert. Bei einem Regierungswechsel droht dagegen ein echtes Rollback. Die Union lehnt Fixerstuben und kontrollierte Heroinabgabe radikal ab. Sie will das Drogenproblem, wie früher, mit härteren Strafen für Dealer lösen.

Etwas entspannt hat sich die Debatte zur Homoehe. Nach dem Karlsruher Urteil wird wohl auch die Union nicht mehr am Status quo rütteln. Für eine weitere Angleichung der eingetragenen Partnerschaften an die Ehe treten offensiv nur die Grünen und mit Abstrichen die FDP ein. Im Zweifel würde aber wohl auch die SPD mitmachen. Das Problem ist nach wie vor der unionsdominierte Bundesrat. Und den kann man nicht am 22. September, sondern erst bei den Wahlen in Hessen verändern.

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