: „Ich bin kein Narziss“
Heute beginnen in München die Europameisterschaften in der kriselnden Leichtathletik. Ein Gespräch mit dem Stabhochspringer Tim Lobinger
Interview FRANK KETTERER
taz: Herr Lobinger, wie laufen die Geschäfte?
Tim Lobinger: Sportlich läuft es sehr gut. Ich bin mit 5,90 m immer noch Führender in der Weltjahresbestenliste. Was geschäftlich rauskommt, muss man abwarten. Es wird sich erst am Ende des Jahres zeigen, ob das, was ich an Leistung bringe, auch bei den Sponsoren auf fruchtbaren Boden fällt. Nicht unwesentlich wird sein, ob die Wirtschaft dann überhaupt in der Lage ist, Geld zu verteilen. Das war schon in den letzten Jahren sehr, sehr schwer, zumal ich da ja auch nicht so gut gesprungen bin.
Ohnehin heißt es, dass es im Reich der Leichtathletik deutlich schwerer geworden sei, Sponsoren an Land zu ziehen.
Ich glaube gar nicht, dass es so viel schwerer geworden ist, zumindest nicht schwerer als in anderen Nicht-Fußball-Sportarten wie zum Beispiel dem Schwimmen. Fakt ist aber, dass die Athleten heute noch viel härter an ihrer Leistung gemessen werden. Vor zehn Jahren war es noch viel, viel leichter, relativ viel Geld mit der Leichtathletik zu verdienen.
Ihnen sagt man nach, Sie hätten in den letzten Jahren finanzielle Einbußen von bis zu 70 Prozent hinnehmen müssen.
Das kann ich bestätigen, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Das wiegt schon deshalb schwer, weil der Aufwand, den ich in den Sport stecken muss, eher größer geworden ist.
Warum kränkelt es in der deutschen Leichtathletik?
Weil es überall krankt. Selbst im Fußball werden ja die Zahlen ganz neu diskutiert und Spieler verzichten auf Teile ihrer Gehälter. Die Wirtschaft ist im Umbruch – und das bekommt gerade die Leichtathletik extrem zu spüren.
Warum extrem?
Weil die Super-Wettkämpfe des Jahres, also die Golden-League-Meetings, im deutschen Fernsehen drei Jahre lang nicht zu sehen waren. Das war der Anfang einer Entwicklung, die gen Boden ging.
Warum hat das Fernsehen das Interesse an Ihrer Sportart verloren?
Ich glaube gar nicht, dass beispielsweise das ZDF das Interesse verloren hat. Es wollte nur einfach nicht die Unsummen bezahlen, die der die Übertragungsrechte besitzende Sender, also Canalplus aus Frankreich, gefordert hat. Und weil Canalplus wiederum mit Premiere zusammenhängt, war die Leichtathletik in den letzten Jahren nur noch verschlüsselt zu sehen. Für Sportler wie Sportart war das eine Katastrophe, die man allerdings schon vor vier Jahren hätte vorhersehen können. Nur wollte das damals keiner.
Auf der anderen Seite wird gerade der deutschen Leichtathletik nachgesagt, es gebe zu wenige schillernde Persönlichkeiten, zu wenige Lobingers.
Schillernde Persönlichkeiten hatten wir noch nie viele. Wir hatten leistungsstarke Persönlichkeiten, bei denen man den Charakter eher zur Seite gedrückt und in erster Linie auf die sportlichen Dinge geschaut hat. Im Vergleich dazu gibt es im Moment durchaus ein paar Typen, die kreativ und intelligent sind – und auch was drauf haben. Ich denke da an Ingo Schultz oder Nils Schumann. An denen kann man sich auch mal reiben, das sind schillernde Figuren. Was allerdings stimmt, ist, dass sich die Top-Athleten von heute ungern präsentieren, vor allem außerhalb des Stadions. Das war früher anders.
Warum baden Ihre Kollegen so ungern im Licht der Öffentlichkeit?
Das ist typisch Individualsportler. Viele denken, sie hätten es nicht nötig, oder es zähle nur Training und blanke Leistung. Und viele wissen überhaupt nicht, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit zu stehen: Dass es einem auch im Sport selber weiterhelfen kann, wenn man ein positives Image hat.
Will heißen?
Es motiviert jeden, wenn in der Zeitung etwas Positives über einen steht, wenn man merkt, dass man bei den Leuten ankommt. Viele vergessen und verdrängen das und sehen sich nur im dunklen Keller und auf der Anlage trainieren. Leichtathletik aber findet vor Zuschauern statt. Und vor Kameras. Das muss man sich immer wieder klar machen.
Was das angeht, könnten Sie dem Nachwuchs die eine oder andere Nachhilfestunde geben.
Ja. Und langsam ist es auch tatsächlich so, dass die Berührungsängste weniger werden. Die nachfolgende Generation hat viel weniger Probleme mit mir. Im Gegenteil: Die kommen zu mir und fragen mich auch mal um Rat. Früher war da eher eine Barriere zu spüren, da war ich für die Leichtathletik doch ein arger Paradiesvogel.
Viele Meetings hierzulande stecken in Nöten, man denke an das Berliner Istaf. Sind die Sportler mit ihren zum Teil überhöhten Gagenforderungen nicht auch selbst schuld?
Aber ganz sicher. Es war ein Fehler, dass Meetingdirektoren einem Maurice Greene oder einer Marion Jones solche Unsummen gezahlt haben. Es kann nicht sein, dass ein Leichtathlet für einen Start 120.000 bis 170.000 Dollar kassiert. Es gibt niemanden, der eine solche Summe verdient hätte.
Sie prangern an, dass zu wenige deutsche Leichtathleten bei den großen Meetings an den Start gehen. Wollen sie nicht oder werden sie schon gar nicht mehr eingeladen?
Es gibt in der Tat viele Meetingdirektoren, die ziemlich wütend auf deutsche Athleten sind, weil sie das Gefühl haben, diese hätten es einfach nicht mehr nötig. Dabei würden die Direktoren deutsche Leichtathleten mit Kusshand nehmen. Wenn man aber immer und immer wieder Absagen bekommt, wird man irgendwann mal müde. Prinzipiell bekommen die deutschen Top-Athlet auch eine Einladung zu den wichtigen Meetings, obwohl man weiß: Die kommen eh nicht. Ich finde das traurig.
Was ist der Grund dafür?
Da muss ich auch den Verband kritisieren, der sagt, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man eine ganz begrenzte Anzahl an Wettkämpfen macht. Da wird den Athleten regelrecht eingebläut, nicht zu viele Wettkämpfe zu machen und vor allem nicht zu viel durch die Gegend zu reisen. Dabei müsste es doch auch im Interesse des Verbandes sein, seine Athleten bei den großen Meetings zu präsentieren. Hinzu kommt, dass man bei einer Meisterschaft wie der EM nur bestehen kann, wenn man sich immer wieder mit der Weltspitze misst. Schon weil man sich an die Psychokomponente der direkten Auseinandersetzung gewöhnt. Übung macht da einfach den Meister – und Wettkampf ist die beste Übung.
Sie gelten als geschäftstüchtiger Athlet, der des Antrittsgeldes und der Siegprämie wegen lieber einen Wettkampf mehr als einen zu wenig macht.
Also ganz ehrlich und Hand aufs Herz: In diesem Jahr ist es aus finanzieller Sicht zum ersten Mal schlichtweg nötig gewesen, dass ich die Wettkämpfe mache, und es war in der Tat so, dass ich den einen oder anderen Wettkampf wirklich auch des Geldes wegen mitgenommen habe. Zum Glück fällt mir das aber nicht sehr schwer, weil es mir nach wie vor einen tierischen Spaß macht, durch die Lande zu reisen und stabhochzuspringen.
Und dabei ist es Ihnen ganz egal, ob die Anlage vor dem Kölner Dom steht oder in irgendeinem Biergarten. Da wird einfach gesprungen.
Da wird gesprungen, was das Zeug hält. Das ist letztendlich völlig egal.
Wie viel muss man springen lassen, um Sie springen lassen zu können?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich beziehe da immer mit ein, was für ein Budget das jeweilige Meeting hat. Wenn ein Meeting nur einen kleinen Etat zu Verfügung hat, dann gibt’s dort Lobinger eben für 50 Prozent weniger. Das heißt: Manchmal komme ich für 500 Euro und manchmal bekomme ich auch das Fünffache.
Egal was die Meetingdirektoren hinblättern, sie bekommen dafür Lobinger pur geboten. Das heißt zum einen die Aussicht auf eine Spitzenleistung und zum anderen auch die eine oder andere Showeinlage.
Klar, das gehört einfach dazu. Aber Show hin, Show her, was entscheidend ist: Ich gebe immer 100 Prozent. Das kann nach hinten losgehen, aber auch nach vorne. Es kann also sein, dass ich fluche, weil ich nicht gut drauf bin, es kann aber auch sein, dass ich mich in einen totalen Rausch springe und eine mordsmäßige Leistung biete. Mit der Show präsentiere ich mich einfach. Ich muss mich da nicht verstellen. Ich bin halt so.
In den Medien werden Sie deswegen einmal als der „Lagerfeld der Leichtathletik“ bezeichnet, das andere Mal als „Narziss“. Was stimmt denn nun?
Ich bin kein Narziss. Ich weiß, wie oft ich in den Spiegel schaue und ich weiß, was ich tue, bevor ich morgens aus dem Haus gehe – und das ist wahrlich nicht viel. Natürlich bin ich modebewusst und ziehe mich auch gerne schick und stylig an, auch beim Sport. Schon deswegen kommt die Sache mit Lagerfeld eher an das, was ich an Selbstauffassung habe. Auf jeden Fall fand ich das einen recht witzigen Vergleich.
Der sich ja wegen Ihres Zopfes aufdrängt. Außerdem scheint es bisweilen schon so, dass Sie die Stabhochsprunganlage als Laufsteg nutzen.
Wenn jeder Athlet versuchen würde, dem Zuschauer eine Show zu bieten und ihm das Gefühl zu geben, er habe geholfen, ihn stärker gemacht, anstatt rumzurennen mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, dann wäre man ein ganzes Stück weiter.
Speziell Sie spielen dabei auch mit der Erotik.
Ja. Ja. Ja. Das ist für einen Mann zwar schwerer als für eine Frau, aber es ist genauso möglich. Schließlich haben wir im Publikum genau so viele Frauen wie Männer sitzen. Und wenn dann bei einem Wettkampf 35 Grad im Schatten sind, dann kann man beim Aufwärmen ruhig mal das T-Shirt ausziehen.
Der Stabhochsprung scheint für solche Dinge prädestiniert. Es gibt in der Leichtathletik keine spektakulärere Sportart.
Absolut. Das passt einfach zu mir.
Und deshalb sagen sie dem Stabhochsprung „ein phallisches Moment“ nach.
Na ja, es geht beim Stabhochsprung halt um Einstich, um Penetration, um Stab und Latte sowie um Antigleitmittel und Haftspray. Das hat alles eine doppelte Bedeutung. Ob man das als phallisch bezeichnen muss, weiß ich nicht, aber es hat auf jeden Fall mehr von Phallus als andere Disziplinen. Wer eine Kugel in der Hand hält, denkt bestimmt nicht an Sex.
Stabhochspringer sprechen viel vom Fluggefühl. Wie würden Sie das beschreiben?
Wenn man einen richtig guten Sprung erwischt, kann es schon passieren, dass man, wie die Surfer sagen, auf der Welle ist, dass man der Erdanziehungskraft für einen Moment entschwindet. Und das nur mit einem so blinden Hilfsmittel wie einem Stück Glasfiber. Das ist schon etwas Fantastisches. Das empfindet man wie einen Kick.
Ist Ihnen dieses Gefühl in den letzten zwei Jahren ein bisschen abhanden gekommen?
Leider ja. Das war für mich auch das Schlimmste. Ich mache meinen Sport primär aus Spaß – und aus diesem Spaß schöpfe ich meine Kraft. Wenn mir der Spaß abhanden kommt, dann endet das in der sportlichen Depression. So war das im letzten Jahr.
Es wird aber auch behauptet, Sie hätten es etwas schleifen lassen.
Das kann man so nicht stehen lassen. Wenn ich in meine Trainingsbücher schaue, dann kann ich dort ablesen, dass ich auch in den letzten beiden Jahren am Tag zwischen fünf und sieben Stunden trainiert habe. Für die Leichtathletik ist das verdammt viel, zumal da ja noch die Anfahrt und die mentale Vorbereitung sowie Massage oder Arztbesuche dazukommen. Von schleifen lassen kann da also nicht die Rede sein. Es lief nur einfach nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte.
In diesem Jahr führen Sie mit 5,90 m die Weltrangliste an. Was hat sich verändert?
Wichtig ist, dass ich seit letztem Oktober mit meinem eigentlich besten Freund ein Trainer-Athleten-Verhältnis habe. Er ist kein ausgebildeter Profi-Trainer, sondern macht das als Hobby, aber er ist genau das, was ich brauche, weil er mir Paroli bieten kann. Er hat einfach eine andere Basis, mit mir zu kommunizieren. Seitdem ich mit ihm zusammenarbeite, geht es absolut bergauf.
Wann ist also der dritte Sechsmetersprung nach 1997 und 1999 fällig?
Das weiß ich nicht, weil dafür einfach alles passen muss. Aber die Aussicht ist zumindest wieder rosig.
Die EM in München wäre keine schlechte Gelegenheit.
Stimmt.
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