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Joschka Fischer wirbt für sich

Der Bundesaußenminister kämpft zwar für eine Fortsetzung von Rot-Grün, vor allem aber für sich selbst: „Ich möchte das weitermachen“

aus Bremerhaven HEIDE PLATEN

Dem Affen Zucker geben, das macht ihm so schnell keiner nach. Bundesaußenminister Joschka Fischer freute sich gestern Mittag wie ein Fisch im Wasser über die Junge Union Bremerhaven. Zwischen den Zweckbauten dicht am Hafen der im Krieg zu 97 Prozent zerstörten und sozialdemokratisch karg wieder errichteten Innenstadt eröffnete er seine Wahlkampftour, die ihn in 45 Tagen durch 90 Städte führen soll. „Warum bist du hier? Wir wählen Stoiber“, hatte ihn eine Hand voll Jung-Unionisten auf einem Transparent fragen wollen. Fischer bemühte sein „Herz für Minderheiten“ und lobte die Gegner fast vom Platz: „Ganz schön tapfer, hier oben an der Küste für Stoiber zu stehen!“ SPD-Land ist Bremerhaven zwar traditionell schon, aber mittlerweile eines mit einer großen Koalition und eines, das sich immer für zu kurz gekommen hält, ausgebeutet von den Bremern, denen der Hafen gehört und die deshalb auch das Geld kassieren.

Die Parteibasis reagierte im Vorfeld unwirsch auf die Frage nach „Miles& More“. Ortsvorsitzender Hans-Joachim Müller-Hanssen findet, dass die Diskussion zum einen zum Ende der Ferienzeit noch gar nicht so recht vor Ort angekommen sei, zum anderen habe man sie schon jetzt satt: „Es gibt Wichtigeres.“ Außenminister hin oder her, das Lokale dominiert. Da ist zum Beispiel der bisher vergebliche Kampf um Akteneinsicht eines wegen selbstherrlicher Personalentscheidungen des Vorstehers der Stadtverordnetenversammlung gegründeten Untersuchungsausschusses. Und der Fischereihafen darf auch nicht zugeschüttet werden. Eva-Marie Müller-Hanssen bringt das derzeitige lokale Lebens- und Ohnmachtsgefühl der Grünen auf den Punkt: „Zu wenig Geld, zu wenig Wähler, zu wenig Macht!“

Fischer, sonst locker für einstündige Reden gut, beschränkte sich zum Auftakt auf 45 Minuten und spulte ein Dutzend grüner politischer Positionen mit gleitenden Übergängen ab. Ganz nebenbei überzeugte er schließlich auch Anneliese Hermann fast. Die Rentnerin mit dem elegant blaugrauen Haar hatte zu Beginn der Veranstaltung auf die Frage, ob sie die Grünen wählen werde, nur lachen können: „Ach was.“ Beim Tee mit Zucker, Marke „Seute Deern“, wollte sie sich nicht festlegen lassen.

Fischer ackerte gestern vor allem bei der eigenen Klientel, den Sympathisanten und den Unentschlossenen für „acht Prozent plus x“. Das Bremerhavener Publikum, rund 800 Menschen, war dankbar und applaudierte dem mit halber Kraft gestartetem Einsatz höflich. Die Bonusmeilen seiner Vielfliegerkollegen erwähnte Fischer nur mit einem tadelnden Halbsatz. Er hakte die Punkte Kosovokrieg, Sicherheitspolitik, Gesundheitsreform, Arbeitslosigkeit ab, verknüpfte Ökosteuer mit Rentensicherheit, verpasste der dünn pfeifenden Jungen Union nebenbei immer wieder Nachhilfe, weil zum Beispiel „selbst euer Edmund“ die bis jetzt umgesetzten Stufen der Ökosteuer beibehalten werde. Die Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums, zwecks politischer Bildung zur Veranstaltung geschickt, lernten schnell und riefen „Joschi!“. Zum Thema Renten entlockte er schließlich auch Anneliese Hermann ein norddeutsch zurückhaltendes Lächeln – als er sich „als ganz altmodischer Vertreter des Sozialstaats“ bekennt, gegen die „neoliberalen Konzepte“ der FDP wettert, die „gegenwärtig in den USA zu Staub zerfallen“.

Mit dem Hinweis, dass Deutschland der „Gewinner des Endes des Kalten Krieges“ sei, „ein großes Glück“, bringt er ausgerechnet die Junge Union auf die Palme, die sich prompt über „Polenbanden“ beschwert. Fischer hört weg und leitet zur derzeitigen Weltpolitik über. Noch einmal warnt er vor einer Beteiligung am möglichen militärischen Einsatz der USA gegen den Irak. Es gelte, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, nicht aber, einen gewaltsamen Regimewechsel in Bagdad herbeizuführen. Krieg gegen den Irak sei ein Sicherheitsrisiko für Europa und „eine falsche politische Entscheidung“.

Fischer kämpft am Ende zwar für Rot-Grün, vor allem aber für sich selbst; der Außenminister wirft seine ganze Person in die Waagschale: „Ich werbe auch ganz persönlich für mich!“ Am 22. September stehe zur Entscheidung, „ob Sie einen anderen Außenminister wollen: Ich möchte das weitermachen!“

Das glauben ihm die Leute. „Das kommt ganz spontan, ganz von innen“, sagt Eva-Marie Müller-Hanssen. Auch wie er die Junge Union ausgebremst hat, gefällt ihr. Fischer sei nicht nur ein guter „Alleinunterhalter“, sondern habe Nehmerqualitäten: „Das ist einer, der sich über Widerspruch nicht so aufregt.“ „Der ist ja herrlich“, sagt auch Anneliese Hermann. Ob sie ihn nun wählen werde? Das nun auch wieder nicht so schnell: „Ich überlege es mir noch mal.“

Joschka Fischer verschwindet im Reisebus, das „Joschka-Mobil“ rollt vom Theodor-Heuss-Platz nach Bremen zum Werdersee. Nichts für die Basis. Dort warten rund 240 akkreditierte Journalisten auf ihn, um ihn beim „öffentlichen Jogging“ zu beobachten – auf der ersten seiner 32, je zehn Kilometer langen Strecken. Die nächsten Reiseziele des Bundesaußenministers sind heute Osnabrück und Oldenburg, morgen Lüneburg und Hannover. Seine Amtsgeschäfte werde er, hatte er bei seiner Abreise am Dienstagnachmittag in Berlin erklärt, „dennoch weiterführen“.

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