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Wo Allah streng katholisch ist

Die Gegner fürchten, ein EU-Beitritt könne dem guten Verhältnis zu Libyen schaden

aus La Valletta HEIKE HAARHOFF

Niemand grüßt den Priester, als er das Café betritt. Keiner beeilt sich, ihm die Karte zu bringen. Dabei ist Mark Montebello nicht irgendwer. Priester auf Malta genießen Macht und Ansehen wie an kaum einem anderen Ort sonst. Priester sind Bürgermeister, Autovermieter, Ferienhausbesitzer, Gutsherren. Priester verwalten mehr Kirchen (365) als Maltas Regierung Quadratkilometer (316). Priester schreiben wirkungsvolle Empfehlungen für Arbeitssuchende. Priester haben durchgesetzt, dass auf Malta nicht geschieden und nicht abgetrieben, dafür aber an die römisch-katholische Kirche geglaubt wird, und zwar laut Staatsverfassung. Und Priester entscheiden politische Wahlen, zuletzt vor 40 Jahren.

Mark Montebello wartet immer noch auf die Bedienung. „Ich bin auf Malta nicht eben beliebt“, stellt er fest. Viel bedurfte es dazu nicht: Der Mann rasiert sich höchstens jeden dritten Tag, er trägt um den Hals kein Kreuz, vertritt Ansichten wie die, dass Homosexuelle auch Menschen seien und Mörder geistlichen Beistand verdienen. Den Traum von einer eigenen Gemeinde hat der 38-Jährige, dessen schwarzes Haar schon von grauen Strähnen durchzogen ist, aufgegeben. Stattdessen besucht er Strafgefangene. Fordert grundlegende Kirchen- und Gesellschaftsreformen für Malta nach europäischem Vorbild. Und hält die Bemühungen der maltesischen Regierung, im Jahr 2004 der Europäischen Union beizutreten, für anbiedernd: „Die wollen Europa um jeden Preis.“

Malta steht vor einer historischen Entscheidung: Per Referendum soll die Mittelmeerinsel, in Resteuropa als Paradies für Sprachschüler, Steuerflüchtlinge, Taucher, Archäologen und Billigflaggenreeder bekannt, Anfang nächsten Jahres darüber abstimmen, ob sie Vollmitglied der EU werden will. Die Beitrittsver-handlungen mit Brüssel laufen seit Jahren und sind weitgehend abgeschlossen. Malta gilt als beinahe musterhaftes Kandidatenland. Aber das heißt nichts. Was am Ende zählt, ist die Stimme des Volkes. Es steht 50 zu 50 – wie immer. Der Staat mit seinen 400.000 Einwohnern ist seit jeher gespalten in die Anhänger der Partei der Nationalisten und der Arbeiterpartei. Die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Seite wird von Generation zu Generation vererbt. Unabhängige wie Mark Montebello sind da das Zünglein an der Waage und auch bei der Abstimmung über den EU-Beitritt dürfte es so sein.

Der Priester lächelt. Er ist die Bestellung, Cappuccino, losgeworden. „Auf eine Art ist es wie vor 40 Jahren“, erzählt er. Damals ging es um die Frage, wer die britische Kolonie Malta in die Unabhängigkeit führen solle. „Damals wie heute gab es im Parlament nur zwei Parteien, die unser Land unter sich aufgeteilt hatten. Man stimmte für seine Partei, nicht für wirkliche Argumente.“ Zwischen der Partei der Nationalisten und der Arbeiterpartei stand es unentschieden. Aber die Konservativen hatten die Kirche auf ihrer Seite. Wer in der Unabhängigkeitsfrage trotzdem für die Arbeiterpartei stimme, ließ der maltesische Erzbischof damals verbreiten, sei fortan von den Sterbesakramenten ausgeschlossen, müsse um sein kirchliches Begräbnis fürchten, kurz: fahre zur Hölle.

Die Nationalisten gewannen die Wahl von 1962. Zwei Jahre später entließ die britische Kolonialmacht Malta in die Freiheit. Die Malteser sind streng katholisch, sie beten nur „Allah“ an, weil Gott auf Maltesisch so heißt. Heute steht die Kirche wieder auf Seiten der regierenden Nationalisten und deren proeuropäischem Kurs.

Alfred Sant ist sich dieses Nachteils bewusst. Der 54-Jährige ist Oppositionschef, Verfechter eines unabhängigen Staates außerhalb der EU und wohl der einzige Vorsitzende einer europäischen Arbeiterpartei mit einer solch nationalistisch-konservativen Position. Er weiß, dass das bei Gästen von außerhalb für Verwirrung sorgen kann.

Sant war bis vor vier Jahren Premierminister. Denn Alfred Sant will bei den Parlamentswahlen Ende nächsten Jahres wieder Regierungschef werden. Deswegen verdüstert sich sein Blick, wenn man ihn aufsucht in seinem Büro in der Parteizentrale und fragt, was er eigentlich gegen Europa habe. „Immer die gleiche Frage“, entfährt es ihm. „Nichts habe ich gegen Europa.“ Und etwas später: „Denn wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen sein dürfte, befindet sich Malta mitten in Europa. Wir brauchen also nicht die EU, um Europäer zu sein.“

Geografisch kann man das so sehen: Malta und seine beiden Schwesterinseln Comino und Gozo liegen nur 93 Kilometer südlich von Sizilien. Aber auch Tunis und Libyens Hauptstadt Tripolis sind mit 350 beziehungsweise 500 Kilometern nicht weit weg; Rom (700 Kilometer) und Brüssel (2.000 Kilometer) dagegen schon. Auch aus historischer Perspektive gehört Malta zu Europa: Über Jahrhunderte steuerten Phönizier, Römer, Normannen, Spanier, Osmanen, die Mönchsritter des Johanniterordens, Napoleon und die Engländer die strategisch günstig gelegenen Kalkfelsen zwischen zwei Kontinenten an.

Im Zweiten Weltkrieg zeichnete die britische Kolonialmacht die Malteser kollektiv für ihre „unerschütterliche Tapferkeit“ im Kampf gegen Italien und Deutschland mit dem „Georgskreuz“ aus: Bald jede zweite maltesische Familie hatte Opfer zu beklagen. Deshalb ist militäri- sche Neutralität für viele Malteser heute ein unantastbares Gut.

„Diese Neutralität müssten wir aufgeben, wenn wir der EU und ihrem europäischen Verteidigungsssytem beitreten würden“, sagt Alfred Sant. Und: „Was für große Staaten gut ist, muss für kleine Länder noch längst nicht stimmen.“ Die anderen Argumente gegen die EU kann er schnell aufzählen: Da ist die Angst, dass die 1,2 Millionen Touristen, die Malta jährlich besuchen, auf der Insel sesshaft werden und Land erwerben. „Bodenausverkauf“, sagt Alfred Sant. Schon jetzt ist Malta nach Monaco und Singapur das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Bodenpreise in der Hauptstadt La Valletta entsprechen solchen in Paris, mehr Menschen würde die Insel nicht vertragen: Wasser ist knapp, nirgendwo sonst in Europa gibt es gemessen an der Einwohnerzahl so viele asthmakranke Kinder, und der höchste Berg der Insel ist die zentrale Müllkippe Maghtab, aus deren Erdreich die Abwässer direkt ins Meer sickern. Strenge Umweltstandards, wie sie die EU vorschreibt, würden Malta gut tun.

1962 drohte die Kirche, wer gegen ihre Position stimme, fahre zur Hölle

Doch Alfred Sant glaubt, sie besser ohne Brüssel erreichen zu können. „Wenn wir uns der EU öffnen, heißt das zugleich, dass ausländische Arbeiter erstens unseren Landsleuten die Jobs wegnehmen könnten.“ Dass sie zweitens von der kostenlosen Krankenversorgung profitieren wollten. Sich drittens an dem subventionierten maltesischen Brot, Wasser und Nahverkehr gütlich täten. Viertens die maltesischen Kleinbauern ruinieren würden. Und fünftens Maltas gute Beziehungen zu Libyen trüben könnten: Malta importiert seit Jahrzehnten einen Großteils seines Erdöls aus Gaddafis Staat. Als Ausdruck der Verbundenheit, berichten manche Malteser stolz, seien im Gegenzug schon mal libysche Autoreifen im Freihafen von Malta zu Reifen „made in Malta“ umetikettiert worden, um sie sodann politisch korrekt nach Israel verkaufen zu können. Arabisch war bis Anfang der 80er-Jahre Pflichtsprache an den Schulen. „Nein“, sagt Alfred Sant, „Malta gehört nicht in die EU.“ Und notfalls, fügt er hinzu, werde er sich über den Willen des Volkes hinwegsetzen: Wenige Monate nach dem Referendum wird es in Malta schließlich noch eine Parlamentswahl geben. Alfred Sant sagt: „Ausschlaggebend ist allein, wer diese Wahl gewinnt.“

Nicht weit vom Sitz der Arbeiterpartei entfernt informiert Simon Busuttil im alten Universitätsgebäude von La Valletta, dass die Wahrheit eine andere sei. Simon Busuttil ist Chef des Malta-EU-Informationsbüros, „eines unabhängigen Organs“, finanziert aus öffentlichen Mitteln, wie er betont, und eingesetzt von der maltesischen Regierung. „In der EU-Frage wimmelt es vor Legenden und Mythen“, sagt der 33-Jährige.

Dabei ist in seinem Büro in einfachen Frage-Antwort-Broschüren nachzulesen, dass die maltesische Regierung längst mit der EU Sonderbedingungen für das Land ausgehandelt hat. Danach dürfen EU-Ausländer, abhängig von der maltesischen Arbeitsmarktsituation, Jobs auf der Insel erst sieben Jahre nach Maltas Beitritt annehmen. Umgekehrt aber haben Maltesen ab Tag eins des Beitritts das Recht, in jedem beliebigen Staat der Union zu arbeiten. Nichtmaltesen dürfen Grundeigentum auf der Insel nur unter strengen Auflagen erwerben. „Das sind die Tatsachen“, sagt Simon Busuttil, und vor allem die Jüngeren hätten sie für sich erkannt: „70 Prozent der unter 25-Jährigen sind für den Beitritt Maltas, vor allem wegen der internationalen Studien- und Berufsmöglichkeiten, die sich ihnen dadurch bieten würden.“

Doch statt mit diesen Ergebnissen für das eigene Verhandlungsgeschick zu werben, halte sich die Regierung „beinahe ängstlich“ zurück: „Die überlassen uns die Informationsarbeit und scheinen davon auszugehen, dass ansonsten alles wie immer ist, Politik wie Religion, und ihre Stammwähler beim Referendum ohnehin wieder für sie stimmen.“

Priester Mark Montebello weiß immer noch nicht, wofür er beim Referendum stimmen wird. „Was mich so wütend macht, ist, dass wir in diesem Land keine sachliche Diskussion über dieses Thema führen. Beide Parteien erheben den Anspruch auf die alleinige Wahrheit für sich und dulden keine kritische Nachfrage.“ Er versucht nicht länger, seine Empörung zu verbergen. „Ihnen geht es nur um ihre Wiederwahl, nicht um das Wohl des Volkes.“ Er schiebt die leere Cappuccinotasse von sich. Sofort erscheint ein Kellner zum Abkassieren. Der Priester nimmt es gelassen.

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