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Der Virus, ein trickreiches Modell

Labor, Produktions- und Forschungsstätte: Die Bremer Künstler- und Wissenschaftlerinnengruppe thealit reizt die Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft aus: Vom Cyberfeminismus zur Biotechnologie. Ein Interview

Das Bremer Frauenkulturlabor thealit widmet sich Fragen der neuen Medien. 2001 analysierten sie in einem Symposium Techniken des „Cyberfeminismus“. Derzeit bereiten Andrea Sick, die künstlerische Leiterin, und ihre Mitstreiterinnen ein Symposium zum Thema Biotechnologie vor. Dabei geht es um die Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft, wie Sick beschreibt. Ihr Konzept war so überzeugend, dass „Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks“ in die Förderung der neuen Bundeskulturstiftung aufgenommen wurde.

taz: Wenn sich Frauen mit Kunst und Medien auseinandersetzen, wird immer schnell ein feministischer Ansatz unterstellt. War das Projekt des vergangenen Jahres, Cyberfeminismus, in diesem Sinne eine Fortsetzung der Arbeit von thealit?

Andrea Sick: Ja und nein. Es war das erste Mal, dass das Frauenkulturlabor ein Thema gewählt hat, das das Wort Feminismus explizit im Titel trägt. Unser Arbeitsprinzip ist es, dass wir als eine Gruppe von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen andere Frauen einladen, ihre spezifische Arbeit in Bezug zu einem gestellten Thema vorzustellen. Die Geschlechter-Thematik sollte immanent mitlaufen, ohne benannt werden zu müssen. Feminismus als Thema muss nicht sein, nur weil wir alle Frauen sind.

Was war das Feministische an dem Projekt?

Wir suchen immer nach den Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Kunst und neuen Medien. Es wird behauptet, in den digitalen Medien löse sich so etwas wie Geschlecht und Geschlechteridentität auf. Der Cyberfeminismus ist dann eine Verkleidung, eine Maskerade dessen, was Feminismus bedeuten kann. Letztlich wird das zu einer Frage der Technik und deshalb haben wir uns den Techniken des Cyberfeminismus zugewandt.

Wie sah das konkret aus?

Wir haben Frauen eingeladen, die mit neuen Medien arbeiten und einen sehr unterschiedlichen oder bisher noch keinen Zugang zum Thema hatten, aber bereit waren, sich dem Thema zu stellen. Sie wollten ihre eigene Arbeitstechnik mit den digitalen Medien hinterfragen, gerade in Bezug auf die Konstruktion von Geschlecht.

Ihr Fokus richtet sich auf die neuen Medien. Welche Verbindung gibt es zu dem neuen Projekt zum Thema Biotechnologie?

Hinter dem Titel „Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks“ steckt der Gedanke, dass der Virus selbst das Modell vorgibt für einen Eingriff, der sehr trickreich ist. Dabei geht es um biologische, physikalische, künstlerische Modelle. Dennoch lässt der Titel Vieles offen. Die Frage ist, wie Modelle funktionieren, wie sie eingreifen in Systeme und Wechselwirkungen zwischen Modell und System entstehen.

Ist der Virus für Sie dabei so etwas wie eine Metapher dafür, wie diese Modelle funktionieren?

Uns ist das Modell als die Form wichtig, mit der in Wissenschaft und Kunst gearbeitet wird, zum Beispiel in der Teilchenphysik und der Molekularbiologie. Und natürlich wollen wir eine kritische Position einnehmen, sowohl zur wissenschaftlichen Forschung als auch zum Kunstmarkt. Das begleitet unsere Form der Auseinandersetzung. Uns geht es nicht um Verwertbarkeit für wissenschaftliche Zwecke.

Warum liegt Ihnen eigentlich so viel an der Wechselbeziehung von Kunst und Wissenschaft?

So können wir in Frage stellen, wie Wissenschaft und Wissen produziert werden, und die eigene Vorgehensweise mitreflektieren. Kunst und Wissenschaft bereichern sich gegenseitig mit ihren Verfahren – was künstlerisch, was wissenschaftlich ist, lässt sich nicht mehr klar trennen.

Eignet sich die Arbeitsform eines Labors besser als andere für die Analyse der Produktionsbedingungen?

Ja, deshalb haben wir bewusst das Laboratorium als Rahmen gewählt. Einen Begriff aus der Naturwissenschaft, um zu markieren: Wir experimentieren. Wir wollen keine fertigen Lösungen, sondern in Frage stellen. Das ist von Beginn an unser zentrales Anliegen. Deshalb haben wir damals, 1993, auch Ausstellungen mit „künstlichen Führungen“ gemacht.

Was, bitte, sind „künstliche Führungen“?

Programmatisch ging es um das Gemachte der Kunst, die Frage, wer macht die Kunst? Wir haben versucht, Führungen und Kunst gleichwertig dastehen zu lassen, also keine Erklärungen der Kunstwerke zu liefern.

Fragen: Bärbel Nückles

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