: „Glamour sieht anders aus“
Das Unbehagen an der Clubkultur: Die Märtini Brös. über die Schattenseiten des DJ-Daseins, den Niedergang des Nachtlebens sowie den Trend zu elektronischer Musik mit deutschen Texten
von ANDREAS HARTMANN
taz: Poppige Elektronik mit deutschen Texten scheint zur Zeit schwer angesagt – besonders in Berlin: Man denke nur an 2-Raum-Wohnung oder Paula, die allesamt zu einer Art „neuer Neuer Deutsche Welle“ gezählt werden. Habt ihr euch hier mitschuldig gemacht?
Mike Vamp: Wir gehören schon zu einer kleinen Welle, das muss ich zugeben.
Clé: Auf der einen Seite hoffe, auf der anderen Seite befürchte ich, dass wir zu dieser neuen Strömung gehören. Wobei dieser Trend zum Teil natürlich schon wieder komische Blüten trägt.
Mike Vamp: Das ist aber normal, das kennt man ja: Kaum kommt eine neue Geschichte auf, wird sie schon wieder ausgeschlachtet, speziell von denen, die davon eigentlich keine Ahnung haben. Wir sind auf einigen Compilations mit drauf, von denen wir selbst erschrocken sind. Vor kurzem haben wir irgendeinen Sampler in die Hände bekommen, auf dem es dauernd rappelt und kracht, und plötzlich, mittendrin, kam unser Track „Der Weg“, und danach ging wieder voll der Schranz ab.
Warum ist deutsches Gesinge im elektronischen Kontext überhaupt so angesagt?
Mike Vamp: Ich persönlich habe in der Zeit, in der ich noch in London gelebt habe – das war Ende der Achtziger – festgestellt, dass die Leute einfach auf die Texte achten und damit auch über das Stück entschieden wird.
Von daher finde ich es auch gut, Deutsch zu singen und sich nicht hinter einer immer noch fremden englischen Sprache zu verstecken.
Aber im Gegensatz zu einer Band wie etwa Blumfeld liegt der Sinn, deutsch zu singen, bei euch ja nicht darin, ein politisches Anliegen leichter transportieren zu können.
Clé: Wir sind bestimmt nicht so politisch wie Blumfeld. Aber bei einem Text wie „Wir flashen jedes Weekend, alles just for you, wir tun es cause we love it, kommt her und hört uns zu“ geht es ja nicht darum, dass wir die Größten sind, sondern darum, dass sich jedes Wochenende alle möglichen DJs abrackern, die Leute aber nur noch in die Clubs gehen, um Rauschgift zu nehmen und fett jemanden abzuschleppen und das war’s. Niemand hört mehr auf die Musik.
Mike Vamp: Wobei ich jemanden abzuschleppen eigentlich ganz gut finde.
Clé: Es geht in dem Text um DJs und Musiker aus allen Bereichen, die ihr Leben der Musik schenken, sich echt abrackern, während die Leute wirklich nur noch die Ikonen sehen wollen, sich aber gar nicht mehr bewegen und in der Disco nur noch konsumieren wollen. Insofern ist das zumindest eine clubpolitische Aussage.
Mike Vamp: Du spielst den schönsten, groovigsten Track und dann kommt jemand und fragt nach einem völlig banalen Quatsch. Da muss es dir einfach so vorkommen, als ob dir echt niemand zuhören würde.
Clé: Mir geht das seit 12, 13 Jahren als DJ so. Dass ich mir denke, hier könnte jetzt auch DJ Hans hinter der Jukebox stehen, die am abend vorher vom Clubbetreiber mit den aktuellen Hits versorgt wurde.
Da werden also dauernd schlaue Bücher über die „DJ Culture“ geschrieben und trotzdem wird in den Clubs alles immer schlimmer?
Clé: Tatsächlich ist es so, dass es den Leuten echt scheißegal ist, wer gerade auflegt und sie es eher zum Kotzen finden, wenn du mal neue Platten auflegst oder frische Trends aufgreifst. Früher haben die Leute noch mit ihren Sets bezaubern müssen, heute zählt nur noch der Name.
Mike Vamp: Sind wir vielleicht altmodisch?
Clé: Vielleicht sind wir auch altmodisch …
Ist das DJ-Leben am Ende überhaupt nicht dieser Jet-Set-Lifestyle, wie man sich das immer so vorstellt?
Clé: Das führen Masters At Work, Jeff Mills, DJ Hell. Die können beim Ankommen in ihrer Hotelsuite sagen: Ich möchte hier keine weißen Blumen haben. Ich bin seit 12 Jahren unterwegs und kenne wirklich die beschissensten Hotels Deutschlands. Das ist alles so weit weg von Glamour, dass es kracht.
Eine überwältigende Zahl der Kids von heute wollen ja DJs werden, so wie früher alle Astronauten werden wollten. Wenn man den Kindern damals gesagt hätte, dass sie bei der Erfüllung ihres Wunsches dauernd in den eigenen Anzug kacken müssen und es im All tierisch kalt ist und sie Essen aus der Tube kriegen, das nach nichts schmeckt, hätten sie es sich auch nochmals überlegt. Der Aufruf geht an alle Kids: Überlegt es auch gut, ob ihr dauernd 2. Klasse in der überfüllten Bahn fahren wollt und dabei auf eurem Plattenkoffer sitzen müsst und danach in Garagenhotels, dritter Hinterhof, in München mal eben drei Stunden schlafen könnt, nachdem ihr erst um acht Uhr morgens aus dem Club gekommen seit, um elf Uhr aber schon wieder auschecken müsst.
Ihr wollt Mitleid?
Clé: Nein, aber nicht, dass die Leute denken, dass es uns besser geht als ihnen selbst.
Martini Brös: Pläy (Pokerflat/Superstar/Universal)
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