: Verschwende dein Haargel!
Und Stinkefinger für taz-ErstabonnentInnen: Die Rückkehr der Fehlfarben erinnert an eine Zeit, als es noch voranging – oder zumindest so schien. Erinnerungen an 1980 ff.
„Es geht voran“ – was war eigentlich so originell an dieser Formulierung? 1980 ff. jedenfalls hörten wir auf Demos gegen AKWs, Nachrüstung oder schwierigere Abiprüfungen am liebsten diesen Fehlfarben-Song aus den knarzigen Boxen auf dem Dach vom Demo-VW-Bulli. Besser als Hannes Wader war das allemal, und auch besser als der um diese Zeit schon etwas lächerliche Anarchoruf „Keine Macht für niemand“.
Denn das mit der Macht hatte sich inzwischen doch ein wenig ausdifferenziert. Wir wollten ja Macht, und wir hatten auch eine ganze Menge: Die Bullen und die Medien hatten damals jedenfalls die Hosen voll, nur weil wir in unseren Schimmelparkas die Straßen blockierten: Vielleicht würden einige von uns ja zur RAF wechseln?!
Politik war damals überall und Linkssein normal. Die Jusos an unserer Schule galten als Rechte – schlimmer ging es nicht. Ähnlich tief rangierten nur noch die „Revis“, die DDR-Fans, so wie unser Mathelehrer mit seinem Sowjet-Lada. Wahrscheinlich erschienen uns Fehlfarben nicht nur politisch – sie waren auch unpolitisch genug, um auf der Höhe der Zeit zu sein. Außerdem war der politische Anspruch an Musik eigentlich nachrangig. War Jazzhören links?
Nicht links, trotzdem nicht ganz verkehrt im Kopf waren diese Typen, die auf gar nichts mehr Bock hatten, die Punks. Die schafften es noch 1982 in Freiburg, mit Dosen- statt Flaschenbier richtig Hass auf sich zu ziehen. Hübsch war ihre Sehnsucht, von Leuten – am besten Hippies – auf der Straße angespuckt zu werden. Uns Hippies, Grünen-Sympis und taz-Erstabonnenten wurde der Stinkefinger gezeigt.
Ich verliebte mich beim Zivildienst in eine Krankenschwester aus Recklinghausen, die hatte eine Wohnung, in der war sogar der Boden weiß angemalt; darauf stand ihr kleiner Plattenspieler. Sie hörte Ideal, redete glücklich von No Future, schaute mich an und sang: Deine blauen Augen machen mich so sentimental. Dann gingen wir abends in die Disko, und neben Fehlfarben lief da auch DAF: „Tanz den Mussolini“. Das fanden wir nicht akzeptabel, haben aber dann selbst den Adolf Hitler getanzt, geprüft, wie sich das anfühlt (härter als Kiffen) und dabei ganz fest an den Kampf gegen Helmut Schmidts Terrorregime gedacht.
Warum durfte man überhaupt plötzlich auf Deutsch singen, war das nicht eine Nazisprache? Wir wussten nicht, warum es „Kebab-Träume in der Mauerstadt“ gab und die Band eigentlich Fehlfarben hieß. Waren die etwa Zigarrenraucher? In unsrem Tabakladen gab es nämlich Fehlfarben-Zigarren und den lecker-süßlichen Tabak „Krumme Hunde“. Wäre doch auch ein schöner Bandname gewesen!
Die Platte „Monarchie und Alltag“ ragte heraus aus dem vielen, was sich plötzlich „Neue Welle“ nannte. Über die Bands wussten wir fast nichts, aber Fehlfarben klangen so, als seien die Typen in der Band anders drauf. Trotzdem verkaufte sich die Platte immer besser, und die Neue Welle wurde täglich größer und doofer. Bevor Fehlfarben ihre erste eigene Tournee gemacht hatten, war es Frontmann und Sänger Peter Hein dann schon zu viel: Er stieg einfach aus. Arbeitete weiter, angeblich bis heute, in Düsseldorf beim Kopiererhersteller Rank Xerox. Eine merkwürdige Ironie, dass Hein in einer Firma tätig ist, die Menschen exaktes Kopieren ermöglicht, was ja immerhin einen Kulturschritt weg vom fehleranfälligen (fehlfarbigen), aber kreativen Nachmachen war. Das Kopieren englischer und amerikanischer Vorbilder war ja immer eines der großen ungelösten Dillemas deutscher Musik.
Es gab noch eine Fehlfarben-Platte Anfang der Achtziger ohne Peter Hein, mit der potenziellen Hitzeile „14 Tage sind zu kurz, um alles zu erleben“. Dann noch eine zehn Jahre später. Aber ohne Peter Hein funktionierte das Fehlfarben-Ding nicht.
Warum jemand, den dann auch die Spex plötzlich zum möglichen Superstar verklärte, einfach aufhört, war immer unklar und gleichzeitig irgendwie Klasse. Hein hatte sein Ding abgeliefert, spontan, großartig und flüchtig. Dieses Sichverweigern hat ja immer große Power. Hein hatte es gemacht und war der erste Aussteiger. Er ließ uns allein mit der Neuen Welle. Jetzt plötzlich tritt er wieder an. Hein, jetzt zieh die Sache mal eine Umdrehung länger durch!
ANDREAS BECKER
Fehlfarben-Konzert: Samstag, den 17. 8., ab 21 Uhr im Gebäude 9
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