„Diesen Krieg sollte es nicht geben“

Der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber wird heute 60. Ein Gespräch mit dem Pazifisten über Konflikte mit seinem Vater, sein Vorbild Dietrich Bonhoeffer, die Freuden des Bischofsamtes und den drohenden Krieg der USA gegen den Irak

„Geht es um ein Abenteuer, muss man dem entgegentreten“

Interview PHILIPP GESSLER

taz: Bischof Huber, herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag …

Wolfgang Huber: Herzlichen Dank!

wollen wir trotzdem mal mit einer etwas härteren Frage anfangen?

Ich bin gespannt.

Gut, dann lese ich Ihnen jetzt was vor: Insbesondere obliege es dem Führer, „im Namen des wahrhaften Volkswillens, dem er dient, sich gegen die subjektiven Meinungen und Überzeugungen einzelner Volksglieder zu wenden, wenn diese sich von der objektiven Sendung des Volkes abkehren. Er verficht dann die objektive Idee der Nation gegen die subjektive Willkür einer irregeleiteten Volksstimmung.“ Kommt Ihnen das bekannt vor?

Das kann ein Zitat meines Vaters sein.

Das stimmt. Schämen Sie sich dafür, dass Ihr Vater, ein vor zwölf Jahren verstorbener, führender Verfassungshistoriker, so etwas geschrieben hat?

Mich bedrückt, dass er das geschrieben hat. Ich habe gegen Ende seines Lebens darüber auch manchmal mit ihm reden können. Er hatte als 30-jähriger Jurist im Jahr 1933 und in den anschließenden Jahren die falsche und verwegene Idee, er könne dem Führerstaat Hitlers eine quasi verfassungsrechtliche Gestalt und Rechtfertigung geben. Das war ein riesiger Irrtum, den er selber auch später eingesehen hat. Aber er hat den Irrtum begangen.

Sie sind im Herausgeberkreis der Werke Dietrich Bonhoeffers, der offensichtlich eines Ihrer Vorbilder ist. Der evangelische Jahrhundert-Theologe wurde von den Nazis als Regimekritiker umgebracht. Was hielt denn Ihr Vater von Bonhoeffer?

Er hat ihn respektiert. Aber es waren große Gräben zwischen dem Lebensweg meines Vaters und dem Weg Dietrich Bonhoeffers. Und diese Gräben sind für ihn wohl innerlich nie überbrückt worden. Verblüffender ist, dass meine Eltern vom späteren Nazigegner Pastor Martin Niemöller getraut worden sind, am 1. Juli 1933 in der Annenkirche in Dahlem. Da gab es also eine pastorale Brücke in den Bereich der regimekritischen „Bekennenden Kirche“ hinein. Aber tiefere Auswirkungen hat das wohl nicht gehabt. Eine längere Verbindung ist daraus nicht geworden.

Bonhoeffer war jemand, der „subjektive Meinungen und Überzeugungen“ hatte, gegen die sich Ihr Vater im Sinne des Führers ausgesprochen hat, nicht wahr?

Bonhoeffer ist am Ende zu der Überzeugung gekommen, dass es nicht nur seine subjektive Meinung gewesen ist, wenn er in Hitlers Regime ein Gewaltregime und in den Taten dieses Regimes Gewaltverbrechen gesehen hat. Für ihn gab es eine objektive Verpflichtung, „dem Rad in die Speichen zu greifen“, wie er schon 1933 gesagt hat. Es stand in Bonhoeffers Überzeugung nicht subjektive Meinung gegen das objektive Recht des Staates, sondern es ging um Gewaltverbrechen, die gegen elementare Gebote der Menschlichkeit und gegen die Menschenrechte verstießen.

Angesichts der Tatsache, wie oft Sie Bonhoeffer zitieren, und angesichts Ihrer Funktion im Herausgeberkreis kann man den Eindruck haben, Bonhoeffer ist zu einer Art Ersatzvater für Sie geworden, vielleicht ein besserer Vater.

Ob Vater oder sehr viel älterer Bruder, das will ich gar nicht entscheiden. Jedenfalls ist es für mein Leben schon eigentümlich, dass jemand, den ich persönlich natürlich nie sehen und erleben konnte, für mich eine so unmittelbare Bedeutung gewonnen hat. In meinem Dienstzimmer in Berlin steht ein Kopf von Dietrich Bonhoeffer von dem Künstler Hans Breker, der nach dessen Tod in seinem Nachlass entdeckt wurde. In dem gerade zu Ende gegangenen Urlaub habe ich mit meiner Frau aus gegebenem Anlass noch einmal den Briefwechsel zwischen Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer, seiner Verlobten, gelesen. Das ist eines der besonders ergreifenden Dokumente dieser Zeit. Ich habe mich dabei über mich selbst gewundert, wie nahe mir das erneut gegangen ist.

Ihr Vater war ein führender Wissenschaftler, ihre Mutter Doktor der Jurisprudenz, ein Großvater zeitweise Reichsaußenminister in der Weimarer Republik und später Präsident des Reichsgerichtshofs. Gab es einen großen Druck zu Hause, schulisch und akademisch zu brillieren?

Der Druck hat sich glücklicherweise einigermaßen verteilt, da ich unter fünf Brüdern der jüngste war. Da gab es einige vor mir, die schon manches abfangen konnten. Aber es gab eine ganz selbstverständliche Erwartungshaltung, die darauf zielte, dass man das Abitur einigermaßen schnell und anständig hinter sich brachte und dann in einer nicht zu langen Zeit ein akademisches Studium absolvierte. Die Erwartung, dass dann alle Professoren oder so etwas werden sollten, hat es dagegen nie gegeben.

Sie wuchsen in einem Quasi-Männerhaushalt auf, was schon schwer ist. Wurden Sie als jüngster von fünf Brüdern überhaupt ernst genommen?

Nicht zu ernst, das ist klar. Man lief halt mit.

Während der Studentenunruhen 1968 waren Sie in Heidelberg. Wie sind Sie in dieser Zeit mit Ihrem Vater umgegangen: Haben Sie ihm, was ja typisch war für diese Zeit der Auseinandersetzung mit den Vätern, Vorwürfe gemacht wegen seines Verhaltens und seiner Schriften in der Nazizeit?

1968 war mein Vater 65 Jahre alt und konnte sich als Göttinger Professor emeritieren lassen. Er hat sich so der unmittelbaren Diskussion an der Universität entziehen können. Aber auch in der Familie wurde diese Debatte nur indirekt geführt. Es war damals schwer, solche Fragen direkt anzusprechen. Wir waren Studenten und aus dem Haus. Meine älteren Brüder hatten ihr Studium zum Teil schon hinter sich. Auch ich habe damals diese Diskussion eher an der Universität als im Elternhaus geführt.

Sie sind in einer klassischen Juristenfamilie aufgewachsen. Warum haben Sie Theologie studiert?

Aus einer persönlichen und inneren Überzeugung. Ein junger Vikar hat in meiner Konfirmantenzeit zu mir gesagt: „Du könntest Theologie studieren.“ Im Laufe der folgenden Jahre entwickelte sich das zu einer inneren Überzeugung, die man ruhig Berufung nennen kann. Ich machte wichtige Erfahrungen in der christlichen Pfadfinderschaft, einer sehr selbstbestimmten Jugendbewegung, und hatte einen hervorragenden Religionsunterricht. Auf diesem Weg ist mir die Verankerung im christlichen Glauben und der Wunsch, ihn auch selber verstehen und von ihm Rechenschaft ablegen zu können, immer wichtiger geworden.

Sie haben schon mit 23 Jahren in Theologie promoviert: Das Studium fiel Ihnen offenbar leicht – oder waren Sie einfach ein wenig streberhaft?

Ich hatte das Glück, sehr früh anzufangen, weil ich schon mit 17 Abitur gemacht hatte. Ich habe sechs Jahre damit zugebracht, zu studieren und gleich die Doktorarbeit zu schreiben. „Streberhaft“ war ich wohl nicht, eher zielstrebig. Die Idee, mit dem ersten theologischen Examen gleich die Promotion zu verbinden, gefiel mir. Da habe ich mich in den letzten Jahren des Studiums entsprechend dahinter geklemmt. Das war eine stärkere Inanspruchnahme, als es sonst ein Studium ist.

Es gibt Leute, die erzählen, dass Sie 1997 bei der Wahl von Manfred Kock zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Tränen in den Augen hatten, weil Sie nicht gewählt wurden. Fehlt es Ihnen an christlicher Demut?

Ich war schon vor der Synode von vielen Seiten gedrängt worden, als Ratsvorsitzender zur Verfügung zu stehen. Die Wahl Manfred Kocks erfolgte nach einer strapaziösen Prozedur, die mir nicht ganz leicht gefallen ist. Die Bereitschaft zur Verantwortung ist bei mir ausgeprägt. Dazu stehe ich. Wenn mir die eine Verantwortung übertragen wird und die andere nicht, akzeptiere ich das ohne Vorbehalt.

Für die nächste Amtsperiode des EKD-Ratsvorsitzenden?

Sie dauert von 2003 bis 2009. Das kommt schon aus Altersgründen nicht in Frage.

Sie haben 1994 als SPD-Kandidat für den Bundestag kandidiert, dann aber wegen der Bischofswahl in Berlin die Kandidatur fallen lassen. Können Sie sich heute noch vorstellen, Politiker zu sein?

Was heißt: vorstellen? Ich bin Gott dankbar dafür, dass ich diesen Weg gegangen bin. Das Bischofsamt ist unvergleichlich mit politischer Verantwortung.

Schöner?

Schöner, ja. Viel schöner.

Sie haben sich über das Thema „Kirche und Öffentlichkeit“ habiliert: Sie scheinen sich ganz wohl zu fühlen im Blickpunkt der Öffentlichkeit, wenn man Sie so beobachtet.

Seit dem Amt als Präsident des Kirchentages 1985 ist das ein Element meines Lebens. Das hat sich mit Übernahme des Bischofsamtes in Berlin-Brandenburg noch einmal verstärkt. Vom Bischof heißt es in der Grundordnung unserer Kirche, dass er die Kirche in der Öffentlichkeit zu vertreten habe. Es ist also keine willkürliche Entscheidung von mir, wenn ich mich öffentlich bemerkbar mache, sondern ich erfülle eine Berufspflicht, die ich als Bischof habe. In der heutigen gesellschaftlichen Situation, angesichts der Behauptungen über gelegentliche Mängel an Wahrnehmbarkeit von Kirche, soll man diese Aufgabe auf sich nehmen und ihr Gestalt geben. Das versuche ich.

Sie haben in der Friedensbewegung der 80er-Jahre mit einer, wie Sie es formulierten, „verantwortungspazifistischen Position“ eine wichtige Rolle gespielt: Wir stehen, so steht zu befürchten, vor einem neuen Krieg – dieses Mal gegen den Irak.

Diesen Krieg sollte es nicht geben. Ich glaube auch nicht, dass es die legitime Aufgabe eines einzelnen Staates ist, mit Krieg die Regierungsverhältnisse in einem anderen Staat verändern zu wollen. Wenn das aus Gründen des Rechts notwendig ist, muss die internationale Rechtsgemeinschaft tätig werden. Das heißt, dann dürfte es nur ein Thema der UNO sein, nicht ein Thema der USA.

Die Bundeswehr aber wäre dabei – allein durch ihre Spürpanzer in Kuwait.

„Das Bischofsamt ist schöner als politische Verantwortung“

Wenn Soldaten aus den USA, aus England, aus Frankreich, aus Dänemark betroffen sind, muss uns das doch genauso beschäftigen, wie wenn es deutsche Soldaten sind. Die Staatsangehörigkeit und der Reisepass bewirken doch keinen Unterschied bei der Qualität und der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens. Wenn es bei einer Maßnahme nicht um das Recht, sondern um ein „Abenteuer“ geht, wie Gerhard Schröder jetzt gesagt hat, dann muss man diesem Abenteuer entgegentreten – unabhängig davon, ob deutsche Soldaten daran beteiligt sind oder nicht. Die Entscheidung gegen eine Beteiligung von Bundeswehrsoldaten wäre dann freilich eine der Formen, in denen man dem „Abenteuer“ entgegentritt.

Sollte sich die EKD schon jetzt im Voraus klar gegen diesen möglichen Krieg aussprechen?

Die EKD trifft sich im November. Hoffentlich sind bis dahin die Grundlagen für ein Urteil vorhanden: Eine klare Position ist zu wünschen, nicht im Nachhinein, sondern im Vorhinein.

Und die Position der EKD sollte dann sein: „Gegen diesen Krieg!“?

Sie sollte sein: Das, was im Hinblick auf den Irak geschehen muss, kann und darf nur im Rahmen von Maßnahmen der Vereinten Nationen geschehen, die an die Aufgabe gebunden sind, das internationale Recht zu wahren und die Menschenrechte zu schützen.

Das schließt einen Krieg nicht aus.

Das schließt militärische Maßnahmen nicht vollständig aus. Aber es schließt einen Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika mit deutscher und anderer Unterstützung aus.

Sie sind jetzt 60 geworden, da kann man, glaube ich, diese Frage stellen: Was wollen Sie noch schaffen in der Zeit, die Ihnen auf Erden bleibt?

In den vergangenen Jahren ist mir die Begegnung mit Menschen immer wichtiger geworden. Zur Reform unserer Kirche will ich noch etwas beitragen. Bei bestimmten Themen will ich weiter öffentlich vernehmbar sein – etwa bei der Bioethik-Debatte. Aber mehr Raum soll in meinem Leben die Begegnung mit Menschen haben, die Zeit, anderen Menschen zuzuhören, und zudem die besondere Kostbarkeit des Bischofsamtes, die darin besteht, dass es ein Predigtamt ist.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein, ich habe keine Angst vor dem Tod. Es gehört sicher zur Gnade meines Lebens, dass ich aus der Mitte des Lebens heraus 60 Jahre leben konnte. Ich hoffe, dadurch ist mir auch die Kraft zugewachsen, zu akzeptieren, wenn das Ende kommt.

Wie stellen Sie sich das vor, das Weiterleben nach dem Tod? „Von guten Mächten wunderbar …“

„ … geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“ Dieses Wort Bonhoeffers ist vielleicht auch für mich persönlich die richtige Umschreibung. Ich habe nie ein besonderes Bedürfnis gehabt, mir ein konkretes Bild vom Leben nach dem Tod zu machen. Ich habe aber immer das Bedürfnis gehabt, mir zusagen zu lassen, dass Christen aus einer Hoffnung leben, die am Tod nicht zerschellt. Das ist die Hoffnung, die in der Liebe Gottes ihre Grundlage hat.