: Schleimattacke im Schrebergarten
Berliner Gärtner haben einen gemeinsamen Feind: Die Spanische Wegschnecke. Besonders in einem Regensommer wie diesem vermehrt sich das Ekelpaket exzessiv und verursacht 90 Prozent aller Gartenschäden. Natürliche Feinde hat es kaum
von ANETT KELLER
Jeden Abend, wenn Dunkelheit sich über die Tempelhofer Gartenkolonie „Fröhliche Eintracht“ herabsenkt, ist Konrad Südfelds Zeit gekommen. Mit Taschenlampe und Gartenschere bewaffnet, geht der Laubenpieper auf Jagd. Sein Beutetier: Die Spanische Wegschnecke (Arion lusitanicus). An guten Abenden bringt er etwa fünfzig Stück zur Strecke. Vorsichtig klaubt er sie von den zerfressenen Blättern seiner Pflanzen und dann: Schnipp, schnapp. In der Mitte entzwei.
Seit Jahren bringt die Nacktschnecke hiesige Kleingärtner zur Verzweiflung. Doch in diesem Sommer ist es besonders schlimm, nach den regelmäßigen Regengüssen treibt es wahre Armeen der rotbraunen Schleimlinge aus ihren unterirdischen Nestern. In den 70er-Jahren von der Iberischen Halbinsel eingeschleppt, ist die Spanische Wegschnecke heute für 90 Prozent aller Gartenschäden verantwortlich. Ihre Fresssucht kennt vor allem bei jungen Trieben kein Erbarmen. Mehr als 50 Prozent ihres Körpergewichtes kann sie an Grünfutter aufnehmen. Weil sie einen zähen, ätzenden Schleim absondert und ihr Fleisch bitter schmeckt, hat sie kaum natürliche Feinde. Selbst Igel verspeisen die Nacktschnecke nur als Jungtier und rollen sie vorher hin und her, um den lästigen Schleim los zu werden.
Schnecken bluten nicht, wenn die Schere sie zerstückelt. „Die kehren nur ihr Innerstes nach Außen“, sagt Konrad Südfeld. Das Zerschneiden wird sogar von Tierschützern empfohlen, weil es einen schnellen Tod bedeutet. Noch schneller geht nur Überbrühen mit heißem Wasser. Den Weg allen Fleisches gehen die halben nackten Schleimlinge auf Südfelds Komposthaufen. „Mein Schneckenfriedhof“, sagt er fast zärtlich. Natürlich schaudere es ihn manchmal ob seines nächtlichen Treibens, aber „der Frust ist größer als der Ekel“.
„Nie wieder Betunien“ stoßseufzt Monika Südfeld und überhaupt habe sie gar keine Lust mehr auf das Gepflanze. Überall hockt sie, die importierte Nacktschnecke, unter Bodendeckern, Steinen, Holz, Töpfen. „Wenn man da aus Versehen druff tritt, dann schmaddert’s.“ Frau Südfeld schüttelt sich.
Wen der Ekel schon beim Anblick der Nacktschnecke packt, der kann sie auch ohne Körperkontakt loswerden. Schneckenkorn heißt ein Pulver, das an bedrohten Pflanzen gestreut und von den Schnecken gefressen wird. Der Wirkstoff Metaldehyd sorgt für eine verstärkte Schleimbildung der Schnecken und trocknet sie aus. Noch fieser ist die Salzmethode. Wird die Schnecke direkt gesalzen, löst sie sich unter dem weißen Gift auf. Einen erfreulicheren Tod bietet die Bierfalle. Die Lockwirkung des Gerstensaftes gilt als Klassiker im Kampf gegen den Schnecken-Terror. Tierschützer warnen jedoch davor, die Falle ebenerdig einzugraben, da sonst auch andere Gartenbewohner hineinfallen könnten.
Alles Salzen und Schneckenkornverstreuen hat Barbara Becker nichts gebracht. Zwischen Gartenzwergen stehen auf ihrer Rabatte gelochte Pflänzchen. Ständig müsse sie neue Pflanzen kaufen, „mit Salat braucht man gar nicht erst anzufangen“. Schneckenkorn helfe nur, wenn es alle streuten, hier in der Kolonie „Schätzelberg“. Das Einzige, worauf die Kleingärtnerin noch hofft, ist ein strenger Winter.
Doch die Nacktschnecke scheint auch dann unkaputtbar. Seine Nester baut der spanische Schleimling unterirdisch. Bis zu 400 Eier reifen in drei Monaten heran. Jung- und Altschnecken und spät abgelegte Eier überwintern im Boden. Sie vertragen tiefe Temperaturen und fressen unter der Schneedecke munter weiter. Nahrung wittern sie mit ihren feinen Geruchsorganen bis auf 100 Meter Entfernung.
Für die geplagten Kleingärtner gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. In der Schweiz haben parasitische Fadenwürmer im Test der Nacktschnecke den Garaus gemacht. Zudem haben Weinbergschnecken den Ruf, ihre nackten Verwandten zu fressen. Und der Naturschutzbund empfiehlt Indische Laufenten und Khaki-Campell-Enten als „ausgezeichnete Schneckenvertilger“. Nur bei artgerechter Haltung – versteht sich.
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