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Mutter-Erde-Göttin

Blut und blond: Arbeiten der 1985 verstorbenen kubanischen Künstlerin Ana Mendieta in den Kunst-Werken

Was macht man, wenn plötzlich Blut über das Trottoir fließt? Die Tür des Hauses aufdrücken, unter dessen Schwelle es nass hervorsickert? Oder einfach verunsichert weitergehen?

So, zwischen Indifferenz und Ratlosigkeit, reagierten die meisten Passanten, die Ana Mendieta 1973 beim Vorübergehen an einem Blutfleck auf der Straße fotografiert hat. „People looking at blood (Moffit Street)“ entstand noch während des Studiums der kubanischen Künstlerin an der Universität in Iowa. In 35 Dias ist ihre unspektakuläre Aktion im öffentlichen Raum jetzt in den Kunst-Werken zu sehen. Daneben hängen fünf Fotografien aus dem Inneren ihres Appartements: Man sieht die blutverschmierten Beine einer Frau und ihre an den Tisch gefesselten Hände. „Rape/murder“ hieß diese Aktion, zu der Mendieta Freunde in ihre Wohnung eingeladen hatte, kurz nachdem eine Studentin ihrer Universität vergewaltigt worden war.

Diese frühen Arbeiten wurden erstmals Ende der Neunziger wieder ausgestellt. Bis dahin war Ana Mendieta (1948–1985) vor allem durch ihre „Siluetas“ bekannt geworden und durch ihren Tod, einen Sturz aus einem Hochhaus in Manhattan. Ihr Tod ließ viele Fragen offen nach der Verantwortung für dieses gewaltsame Ende einer Künstlerkarriere; auch wenn ihr Ehemann, der Bildhauer Carl Andre, juristisch von jedem Verdacht freigesprochen wurde.

„Where is Ana Mendieta?“, schrieben 1992 Frauen auf ein Transparent, mit dem sie am Guggenheim-Museum New York gegen das Fehlen von Künstlerinnen protestierten. Denn während Andre mit seinen minimalistischen Skulpturen in vielen Sammlungen vertreten ist, ist das Werk von Ana Mendieta schwer zu fassen. Das liegt nicht zuletzt in seinem ephemeren Charakter begründet.

Fast 200 Dias und einige Filme bilden die Serie der „Siluetas“: Die Silhouette ihres Körpers fand sich wieder im Schlamm eines Baches geformt, im hoch gewachsenen Korn, als archaisch anmutende Ritzzeichnung in der Erde, unter trockenem Laub, als brennende Pfütze und von blühendem Kraut, das in einer Grabkammer wuchs, umschrieben. Das war eine Auseinandersetzung mit dem Körper der Frau in der Geschichte der Bildhauerei, der christlichen Ikonografie und seiner Mythisierung als Natur, und ebenso ein großes Zulassen von Vergänglichkeit.

Was Wunder, dass sich vor allem feministische Künstlerinnen und Historikerinnen auf diese Serie stürzten, und, nach Judith Butler, Mendieta als Mutter-Erde-Göttin verklärten. Die erneute Beschäftigung mit ihr dagegen versucht, ihre kritische Haltung gegenüber Identitätspolitiken zu betonen, die mit der Definition von Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit einengende Konditionen schaffen. Die „Siluetas“ fehlen in den Kunst-Werken. Die ausgewählten Arbeiten sind weniger von Mythen besetzt denn von der Erfahrung, dass der eigene Körper als Projektionsfläche genutzt wird.

Wie mit einer Knetmasse geht Mendieta mit sich um, setzt blonde Perücken auf, zieht sich Nylonstrümpfe über das Gesicht und drückt Brüste, Hintern und Bauch mit einer Glasscheibe platt – das Zum-Bild-Werden hat da immer etwas Gewaltsames, das die Vorstellung von Anmut, Schönheit und Weiblichkeit durchkreuzt. Und bei alledem sieht sie unglaublich jung aus. Sie war da gerade mal ein Jahr an der Multimedia-Klasse der Universität Iowa.

Nach ihrem Tod fand man in ihrem Nachlass vor allem Dias, die nachträglich als Auflagen publiziert wurden. Die kleine Ausstellung in den Kunst-Werken befriedigt nicht, es gibt zu wenig, um ihre Bedeutung als Pionierin begreiflich zu machen. Diese stellt sich erst her, wenn man an Künstlerinnen denkt wie Cindy Sherman, Marina Abramovic oder Kiki Smith, denen Mendieta die Tür erst aufgestoßen hat.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 6. 10., Di.–So. 12–18 Uhr, Kunst-Werke Berlin e. V., Auguststr. 69, Mitte

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