: Berlin lässt Linke links liegen
Heute ist Internationaler Linkshändertag. In vielen Städten gibt es Aktionen. Nur in Berlin nicht. Nur einen Laden mit seitenverkehrten Gebrauchsgegenständen gibt es in der Hauptstadt. Die Leftys wollen endlich raus aus der Nische
von JOHANNA TREBLIN
In Deutschland dominieren Rechtshänder. Doch anders als in Berlin wird den Linkshändern in vielen Städten wenigstens heute gedacht. In Magdeburg zum Beispiel stellt das Rathaus heute einen Raum zur Verfügung, in dem Linkshandartikel ausgestellt werden und Beratung möglich ist. Die Jenaer Linkshand-Initiative hat Interessierten bereits gestern ein Forum zur Information und Beratung geboten. In München prämiert die älteste deutsche Beratungsstelle für Linkshänder das am besten geeignete Spielzeug für sowohl links- als auch rechtshändige Kinder. Und was tut Berlin? Nichts.
Dabei hat der Linkshänder es sowieso schon schwer genug. Nicht nur dass ihn Mutter und Vater und Lehrer oftmals gezwungen haben, mit der „richtigen“, also der rechten Hand zu schreiben, nein, er hat gar keine andere Möglichkeit als seine bevorzugte Hand links liegen zu lassen. Unbarmherzig fordert jeder Moment des Alltags die Nutzung der rechten Hand oder geradezu akrobatische Fertigkeiten. Sei es der Kaltwasserhahn, der auf der falschen Seite des Waschbeckens in die falsche Richtung gedreht werden will, oder der BVG-Automat, der nur auf Knopfdruck rechts reagiert.
Diese Tücken aber, sagen Psychologen und Wissenschaftler, haben den Linkshänder zu Kreativität verleitet. Jede Alltagssituation erfordert eine präzise Analyse und eine findige Problembehebung. Doch auch die überwiegende Nutzung der rechten Gehirnhälfte, die für das Musische, das Nonverbale und das räumliche Vorstellungsvermögen zuständig ist, tragen dazu bei, dass unter Künstlern und Intellektuellen so viele „Leftys“ zu finden sind. Wolfgang Joop zum Beispiel könnten die Umdenkaktionen zu Tüll und Spitze in den interessantesten Schnitten und Kombinationen inspiriert haben. Johann Wolfgang von Goethe entdeckte die Poetik für sich und Wolfgang Amadeus Mozart die Musik.
Einige findige Geschäftemacher und vielleicht auch rechtshändige Neider auf das angelernte Geschick der Seitenvertauschten kämpfen nun seit einigen Jahren gegen die ungerecht verteilte Kreativität an: Sie stellen einfach Gebrauchsgegenstände für Linkshänder her. Messer mit dem Schliff auf der linken Seite, Füllfederhalter, die links geschrieben nicht kratzen.
Ein englischer Businessman war besonders aufgeweckt und entwickelte eine nun patentierte Nagelschere, die sich umstellen lässt. Diese verkauft auch Uwe Karge in seinem Linkshänderladen in Berlin-Friedenau. Nagelscheren sind die einzigen Gegenstände, die auch Rechtshänder in seinem Laden für sich selbst kaufen. Jeder Normalo kennt doch sicher das leidige Problem, sich mit der linken Hand die Nägel der rechten schneiden zu müssen. Mit der Linkshänderschere ist das einfach. „Die Leute finden die Umstellschere witzig. Aber nicht wirklich gut“, sagt Uwe Karge. Sie sieht auch nicht wie eine richtige Nagelschere aus, ist nicht gebogen und viel breiter. Das schrecke die herkömmlichen Nagelschneider doch eher ab.
Karges Geschäft ist übrigens das einzige in Berlin, das ausschließlich Artikel für Linkshänder verkauft. „Lefty“, das erst in Moabit, dann in der Dussmann-Passage zu Hause war, schloss schon 1999 seine Türen. „Spiker“, ein Laden in der Badstraße findet sich mittlerweile auch nicht mehr im Telefonbuch. Aus diesem Mangel heraus beschloss Karge, dessen Sohn Linkshänder ist, einen Laden zu öffnen, der den viel gescholtenen, gesellschaftlich missachteten Falschgepolten den Alltag erleichtern soll.
Hat die linksregierte Hauptstadt, deren Bürgermeister Wowereit selbst umgeschulter Linkshänder ist, sonst etwas zu bieten für Linkshänder? „Nicht viel“, bestätigt Uwe Karge. Er selbst versucht immer wieder, Anlaufstellen ausfindig zu machen. Auf seiner Homepage hat er alle ihm bekannten Beratungsstellen Berlins aufgelistet: ganze vier.
Eine davon ist die Praxis für Ergotherapie in Wilmersdorf. Tania Gallardo testet überwiegend Kinder auf Händigkeit, schaut sich aber auch den übrigen Körper an, überprüft also die Äugigkeit, Füßigkeit etc. Zusammen mit dem Kind und den Eltern wägt Gallardo dann ab, ob eine Umschulung sinnvoll ist oder die Psyche nur noch mehr belasten würde. Gallardo setzt sich auch mit den jeweiligen Kita-Betreuern oder Lehrern auseinander. „Häufig wird den Erziehern erst dadurch bewusst, dass die Händigkeit ein Problem sein kann.“
Die Ergotherapeutin wünscht sich von der Familien- und Schulpolitik „viel mehr Aufklärung in den Kitas und eine bessere Vorbereitung und Schulung der Betreuer“. Uwe Karges Ehefrau Elke, selbst Erzieherin, bestätigt, dass die Unwissenheit der Erzieher häufig gravierende Folgen für die Kinder haben kann.
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