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Alle wollen, was keiner richtig kennt

Kanzler, SPD und Grüne loben das Hartz-Papier, obwohl das Gesamtkonzept noch gar nicht vorliegt und erst am Freitag offiziell übergeben wird. Opposition und 58 Prozent der Wähler halten die Diskussion um die Arbeitsamtsreform für Wahlkampf

von ULRIKE HERRMANN

Wie kann man „einstimmig“ unterstützen, was man gar nicht kennt? Jedenfalls nicht so richtig? Der grüne Bundesvorstand und das SPD-Präsidium ließen sich gestern nicht beirren. Sie begrüßten uneingeschränkt das „Gesamtkonzept“ der Hartz-Kommission, obwohl deren endgültige Reformvorschläge für den Arbeitsmarkt noch nicht vorliegen und erst am Freitag übergeben werden.

Doch den Regierungsparteien reichte, was sie in Gesprächen mit Kommissionsmitgliedern gehört und in den Medien gelesen hatten. Und so konnte der Kanzler gestern von „Chancen“, einem „großen Wurf“,„innovativen Ideen“ reden. Viel konkreter wollte er nicht werden, denn noch ist ja alles „vorläufig“. Das nennt man auch Agenda-Setting. Eigentlich gibt es weder etwas zu beschließen noch zu berichten, aber man verbreitet sich trotzdem öffentlich. Tut so, als ob man tut, und wirkt aktiv.

Etwas deutlicher wurde Schröder nur beim Thema Steueramnestie. Dieser „unorthodoxe Vorschlag“ sieht vor, dass Steuerflüchtlinge dann straffrei ausgehen, wenn sie ihr illegal im Ausland angelegtes Geld in Ostdeutschland investieren. Nach dem Motto: „Besser Arbeit in Leipzig als Geld in Liechtenstein“. Allerdings müssten „die Bedingungen stimmen“, so der Kanzler. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Ungesetzliches honoriert werde. Auch dies fasste Schröder in ein Motto: „Verzicht auf Strafe, aber keineswegs Verzicht auf Gegenleistung.“ Ähnlich äußerte sich der grüne Parteivorsitzende Fritz Kuhn. Selbst CDU-Superkompetenzkandidat Lothar Späth gab bei der Steueramnestie gestern zu: „Da bin ich mit dem Bundeskanzler ausnahmsweise einig.“

Ansonsten allerdings wiederholte Späth seinen Vorwurf, die Hartz-Kommission sei „Wahlkampf pur“. Das glauben laut dimap-Umfrage auch 58 Prozent der Wähler. In Ostdeutschland sind es sogar 69 Prozent, und die Einschätzung der Arbeitslosen ist noch drastischer: Von ihnen glauben 86 Prozent, die Kommission betreibe nur Wahlkampf (siehe auch Interview).

Der Hartz-Terminplan bis zur Wahl sieht jedenfalls so aus: Am Mittwoch wird das Kabinett beraten – und auch schon „Arbeitsaufträge“ verteilen, obwohl sich Schröder gleichzeitig beeilte zu versichern, dies sei nur „vorläufig“. Am Freitagmorgen wird die Endfassung des Berichts dem Kanzler übergeben, um nachmittags im Französischen Dom in Berlin mit allen gesellschaftlichen Gruppen diskutiert zu werden. Allerdings ist bisher unklar, ob auch die Oppositionsparteien und die Arbeitgeber erscheinen.

Am Sonntag folgt eine Parteikonferenz der SPD, doch weiß Kanzler Schröder schon jetzt, dass seine Genossen zustimmen werden. Da sei er „sehr zuversichtlich“. Mittwoch nächster Woche kann sich das Kabinett dann erneut mit dem Hartz-Bericht befassen, diesmal „endgültig“. So wären etwa Entscheidungen über eine Neuorganisation der Bundesanstalt für Arbeit denkbar. Mit Gesetzesänderungen ist jedoch erst nach den Wahlen zu rechnen, zumal die meisten im Bundesrat zustimmungspflichtig wären.

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