: Der Sommer des Chamäleons
Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich privaten Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Fünfter Teil
Was bisher geschah: Chamäleon Rama hokuspokusverschwindibus +++ John Player sucht Rama +++ Chamäleondieb von Cops kassiert +++ Player besucht Dieb im Knast
Eine Kokosmakrone nach der anderen zischte durch den Raum, prallte auf den Körper des Gangsters und hinterließ dort schmerzhafte blaue Flecken. Einmal verfehlte ich, und das Geschoß durchschlug die Stahltür der Zelle wie eine panzerbrechende Granate einen Butterkeks. Der debile Dieb hatte sich auf den Boden gekauert und leierte seine liturgische Litanei herunter. Der war fertig mit den Nerven, das war so sicher wie die schlechte Musik bei einem Bro‘Sis-Konzert. Ich ließ es gut sein, sicherte die Zwille und steckte sie in mein Schulterholster. Da der Heini offenbar religiös veranlagt war, beschloss ich spontan, meine Verhörmethoden diesem Umstand anzupassen.
„He!“, rief ich dröhnend in die Zelle. „Du hast gesündigt!“ – „Ich weiß“, wimmerte es vom Boden herauf, „schick mich bitte nicht in die Hölle!“ – „Das muss ich mir aber noch mal schwer überlegen“, donnerte ich zurück, „ich meine, normalerweise ist das mein Job, Leute zur Hölle schicken. Du müsstest mir schon einen verdammt guten Grund liefern, warum ich es nicht tun sollte.“ – „Verlang von mir, was du willst. Aber kein Geld. Ich hab nämlich keins.“ – „Geld!!“, schnaubte ich. „Du willst ... Sex?“, kam es zögernd und ungläubig zurück. Meine Güte, dieser Typ war wirklich simpel gestrickt. „Ich will, dass du bereust! Gestehe deine Sünden! Aber langsam und deutlich, ich will mitschreiben.“
Mit gezücktem Notizblock harrte ich der Sünden, die da kommen mochten. „Ich habe Chamäleons gestohlen. Viele. Im gesamten Bundesgebiet. Mehr als siebzig in den letzten drei Monaten.“ – „Das ist sehr böse“, gab ich zu bedenken. „Hast du auch eins in der Knöselallee mitgehen lassen?“ Dort wohnte Ilse. Der Schurke überlegte, was sein Erbsenhirn zum Qualmen brachte. „Knöselallee ... Knöselallee ...“ – „Ja, Knöselallee.“ – „Nein.“ – „Nicht? Ganz sicher?“ – „Ja. Die Knöselallee stand auf meiner Liste, aber sie haben mich vorher geschnappt.“
Sapperlott! War ich auf dem Holzpfad? „Hast du eine Idee, wer sonst in der Knöselallee eingestiegen sein könnte?“ – „Das könnte Kakerlaken-Karl gewesen sein. Oder Semmel-Jupp.“ Was für beknackte Namen. „Seid ihr sowas wie eine Bande?“ – „Wir arbeiten alle für das Syndikat.“
Ich pfiff durch die Zähne. Das Ganze nahm neue Formen an, und zwar große. „Syndikat? Was für‘n Syndikat?“, hakte ich nach. „Na, das Syndikat eben.“ – „Und ihr klaut nur Chamäleons? Oder auch Autoradios und so?“ – „Nur Chamäleons. Äh ... möchtest du auch den Namen unseres Chefs wissen?“ – „Na klar.“ – „Okay ... es ist ... Karl-Heinz Meierdierks. alias Das Chamäleon.“
Ein dramatischer Tusch ertönte, keine Ahnung, wo der plötzlich herkam. „Soso. Das ist ja bestimmt ein ganz ungemütlicher Bursche. Wo finde ich ihn?“ – „Seine Festung soll sich auf Sylt befinden. Aber ich bin noch nie dort gewesen. Ich habe meine Ware immer per Schiff geschickt.“ – „Was macht der Mistkerl mit den ganzen Chamäleons? Produziert er Handtaschen? Oder Chamäleonsaft? Oder findet er die Biester einfach nur dufte?“ – „Das weiß ich nicht. Ich bin nur ein ganz kleiner Handlanger. Muss ich jetzt trotzdem in die Hölle?“ – „Das kommt ganz auf dich an. Wenn du sauber bleibst, könnte ich bei Luzifer ein Wörtchen für dich einlegen. Ich schlage vor, dass du umschulst und dich um eine Bürotätigkeit bei Amnesty International bewirbst. Die suchen gerade. Dein Arbeitsamt kann dir da bestimmt weiterhelfen.“ – „Hm, naja, okay, Büroarbeit ist eigentlich nicht so mein Ding ...“ – „Willst du in die Hölle?“ – „Nein! Ich bewerbe mich! Ich versprech‘s!“ - „Recht so. Und jetzt zieh dir ne trockene Unterhose an und husch ins Bettchen. Tschüß!“
Mit diesen Worten steckte ich meinen Notizblock ein, sprang vom Fenstersims in die Hecke und brach mir beide Beine. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen