: „Sarrazin klappt die Ohren zu“
Die Sozialstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg, Kerstin Bauer, hält wenig von den Sparvorschlägen des Finanzsenators in Sachen Sozialhilfe – und noch viel weniger von seinem Kommunikationsstil
Interview SABINE AM ORDE
taz: Frau Bauer, warum haben Sie die Ansätze für die Sozialhilfe in Friedrichshain-Kreuzberg so dramatisch überzogen?
Kerstin Bauer: Das ist ganz einfach: Die Bezirke haben einfach zu wenig Mittel zugewiesen bekommen. Das meinen alle Sozialstadträte parteiübergreifend.
Was heißt das für Friedrichshain-Kreuzberg konkret? Wie viel haben Sie bislang zu viel ausgegeben?
Wir haben bisher insgesamt 96 Millionen Euro ausgegeben, vorgesehen waren 85 Millionen. Alles in allem eine deutliche Überschreitung.
Ein Großteil der Sozialhilfe ist über Bundesgesetze festgelegt. Wo kann überhaupt gespart werden?
Unser erster Grundsatz ist, dass das, was im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) festgelegt ist, auch genauso ausgezahlt wird. Schon das führt jetzt zu Überziehungen. Bei seinen Einsparvorgaben scheint der Finanzsenator davon ausgegangen zu sein, dass wir das BSHG aushebeln. Da muss man aber zwischen dem Z-Teil und dem T-Teil unterscheiden.
Das müssen Sie erklären.
Im Z-Teil, dem Zuwendungsteil, sind die ganzen Aufwendungen zusammengefasst, die direkt an den Sozialhilfeempfänger gehen. Im T-Teil stehen die so genannten Transferausgaben, die auch auf Grundlage des BSHG gezahlt werden, aber an Dritte. Zum Beispiel bei der Krankenhilfe an den Arzt oder bei Hilfen zur Erziehung an den freien Träger, der sie übernimmt. Ursprünglich ist Herr Sarrazin davon ausgegangen, dass es sich beim T-Teil um die steuerbaren Ausgaben handelt.
Da hat er doch Recht: Es gibt zwar einen gesetzlichen Anspruch auf gewisse Leistungen, wie viel die Wohlfahrtsverbände aber dafür bekommen, ist Verhandlungssache.
Das stimmt. Aber kurzfristig ist das eben nicht steuerbar. Es gibt Verträge zwischen dem Land und dem Betreiber einer Unterkunft für Obdachlose zum Beispiel. Da können wir als Bezirk gar nicht eingreifen. Und das Land kann einen solchen Vertrag auch nicht jederzeit kündigen.
Aber es kann mittelfristig neu verhandeln und die Preise drücken. Doch bleiben wir bei den Vorschlägen, die Sarrazin gerade gemacht hat. Was halten Sie davon?
Das macht mich ärgerlich. Nach meinem Verständnis gehört es zu einem vernünftigen politischen Stil, dass man die Fachverwaltung und die zuständigen Stadträte befragt, was sie von den Vorschlägen halten. So etwas findet bei Herr Sarrazin überhaupt nicht statt. Die Einsparungen kommen über uns, Vorschläge erfahren wir aus der Presse. Die Stadträte verschließen sich Einsparungen und Strukturveränderungen nicht, aber man kann sie nicht einfach festlegen und dann pauschal auf die Bezirke runterbrechen. Das funktioniert nicht.
Nehmen wir mal die Prüfdienste, die Sarrazin verstärken will, um dem Missbrauch einen Riegel vorzuschieben, wie das sein Sprecher nennt. Wie sieht es damit in Ihrem Bezirk aus?
Wenn wir Anträge haben, die über 250 Euro liegen, dann schalten wir den Prüfdienst ein. Wenn jemand also eine Waschmaschine beantragt, einen Kühlschrank, Möbel, Renovierungskosten. Was ich absolut fatal finde, ist, dass Herr Sarrazin sofort unterstellt, der Sozialhilfeempfänger betreibt Missbrauch, wenn er einen Anspruch anmeldet. Es gibt schwarze Schafe, aber die sind eine kleine Minderheit. Manchmal stellt der Prüfdienst natürlich fest, dass der Kühlschrank noch funktioniert und nur eine Reparatur braucht, dass es eine Couch gibt, die man noch benutzen kann. Der Sozialhilfeempfänger sieht das manchmal einfach anders.
Wie viel Leute sind in Ihrem Prüfdienst im Einsatz?
Der Prüf- und Ermittlungsdienst besteht aus sieben Mitarbeitern, die beim Verwaltungsamt angesiedelt sind. Das Sozialamt beauftragt sie nur.
Der Bezirk Reinickendorf hat mehr Mitarbeiter in diesem Bereich und ist für extrem rigide Prüfungen bekannt. Kann man so sparen?
Es ist richtig, den Prüf- und Ermittlungsdienst einzusetzen, wenn es den Verdacht gibt, da wird Missbrauch getrieben. Ich finde es auch richtig, Anträge auf größere Anschaffungen zu überprüfen. Aber die Sozialhilfeempfänger zu bespitzeln, da bin ich strikt dagegen. Sie müssen sich vorstellen, wie das ist: Da klingelt morgens um sieben unangemeldet der Prüf- und Ermittlungsdienst und geht dann einmal durch die Wohnung. Guckt in den Kühlschrank, prüft, wie viel Leute in dem Bett geschlafen haben. Meiner Ansicht nach muss der erste Schritt sein, dass in den Bezirksämtern eine vernünftige Beratung angeboten wird. Dann würden viele sicher gleich nur die Reparatur des Kühlschranks beantragen und keinen neuen. Für eine solche Beratung aber brauchen die Sachbearbeiter Zeit, die sie jetzt nicht haben. Deshalb muss vor allem das Sozialamt umstrukturiert werden. Das ist aber ein langfristiger Prozess, der sich nicht sofort in Einsparungen niederschlägt.
Wie viel Missbrauch gibt es überhaupt? In der Finanzverwaltung spricht man von 10 bis 15 Prozent.
Das ist ganz schwierig einzuschätzen. Ist es schon Missbrauch, wenn jemand sagt, ich brauche ein neues Bett, und der Prüf- und Ermittlungsdienst kommt aber zu dem Schluss, das alte geht doch noch? Aus meiner Sicht ist das kein Missbrauch.
Reden wir von wirklichem Missbrauch. Was schätzen Sie?
Da kann ich keine seriöse Schätzung abgeben.
Macht es aus Ihrer Sicht Sinn, den Prüfdienst aufzustocken?
Ja, aber man darf eben nicht zu weit gehen.
Ein weitere Anregung aus der Finanzverwaltung: die sofortige Vermittlung von arbeitslosen Sozialhilfeempfängern in Arbeit. Wie realistisch ist das in Ihrem Bezirk?
Wir haben in Friedrichshain-Kreuzberg eine schwierige Situation. Weil wir im vergangenen Jahr aus verschiedenen Gründen erst im Juli mit dem Neuabschluss von Verträgen im Bereich Hilfe zur Arbeit (HzA) anfangen konnten, hatten wir im Jahres-Ist einen viel geringeren Betrag, als eigentlich der Bedarf ist. Sarrazin hat jetzt aber nur dieses Ist vom vergangenen Jahr für das neue zugewiesen. Das heißt: Wir haben viel zu wenig HzA-Mittel. Aber das Bezirksamt hat Anfang der Woche beschlossen, dafür zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
Die HzA-Mittel sind nicht ausgeschöpft, sagt Sarrazins Sprecher.
Das höre ich gerne, am Ende soll dieser Topf nämlich zugunsten der Bezirke umverteilt werden, die zu viel ausgegeben haben. Und dazu wird Friedrichshain-Kreuzberg gehören.
Es mangelt also nicht an Jobs für HzA-Maßnahmen?
Die sind nicht das Problem. Ich werde bis zum Jahresende noch 470 Verträge abschließen. Damit sparen wir im Folgejahr 4,7 Millionen Euro ein.
Sarrazin setzt die Sozialstadträte kräftig unter Druck. Fühlen Sie sich von Ihrer Parteifreundin, Sozialsenatorin Knake-Werner, genug vertreten?
Die Schwierigkeit ist, dass Frau Knake-Werner ebensowenig wie die Bezirke die Möglichkeit hat, zum Finanzsenator vorzudringen. Da gibt es keine Kommunikation, wir haben keine Chance, uns mit ihm auszutauschen. Das Problem hat auch die Sozialverwaltung.
Das verstärkt den Eindruck, dass Knake-Werner sich gegen den Finanzsenator nicht durchsetzen kann.
Kann sich überhaupt jemand gegen Herr Sarrazin durchsetzen? Der setzt etwas in die Welt und dann klappt er die Ohren zu.
Was als Eindruck hängen bleibt, ist aber: Rot-Rot geht auch an die sozial Schwachen ran. Wollte sich die PDS nicht für soziale Gerechtigkeit stark machen?
Das tun wir auch. Ich glaube, dass wir hier in Friedrichshain-Kreuzberg richtige Schritte in Sachen Umstrukturierung und Einsparungen gehen, gleichzeitig aber das BSHG nicht aushebeln. Aber Herr Sarrazin vermittelt leider über Rot-Rot eben ein ganz anderes Bild.
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