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Ferien im Schaukasten

Was ist der Ku‘damm? Hat er eine Identität, hat er keine? Eine junge Architektin bemüht sich, den Ort zu verstehen, und bietet ein neues Image für den Möchtegernboulevard: als Urlaubsort. Dafür möchte sie die vernachlässigten Vitrinen umgestalten

von SUSANNE VANGEROW

Sie wirft den Kopf in den Nacken und lacht. „Eine Sisyphusarbeit.“ Die soll sie sich aufgeladen haben. „Stimmt schon“, sagt Heike Biechteler. Die 28-jährige Architektin will dem Ku‘damm zu einem neuen Image verhelfen. Auf der Terrasse eines „typischen Ku‘dammcafés“ erzählt sie von ihren Projekten. Aber erst noch kommt die Kellnerin in der gestärkten Schürze. Sie bringt uns Apfelsaftschorle.

Heike Biechteler plant, den Kurfüstendamm zum Ferienort zu machen. „Ferienziel ist er ja schon.“ Sandstrand vor Rolf Edens Disko, Bouleplatz, Motorradverleih und natürlich ein großer Ferienbungalow, so hat sie das vor einem Jahr in ihrer Diplomarbeit an der Hochschule der Künste ausgearbeitet. Aber weil das alles auf einmal vielleicht doch ein bisschen viel ist, zumal sie inzwischen für ein großes Architketenbüro in Friedrichshain arbeitet, hat sie sich zusammen mit ihrer Freundin und Studienkollegin Su-sanne Graunoch was anderes ausgedacht. Sie wollen die Schaukästen am Ku‘-damm ausstaffieren.

Die viereckigen Glaskästen säumen fast die ganze Straße. Schon seit 1957 stellen die Geschäfte hier ihre Ware aus. Die Vitrinen stehen sogar unter Denkmalschutz. Trotzdem gammeln einige vor sich hin. Vor „Budapester Schuhe“ sind sie sogar einfach zugeklebt. Nur das Ladenemblem prangt darauf.

„Es ist offensichtlich, dass die Schaukästen nicht richtig genutzt werden“, sagt Heike Biechteler. Dabei sind sie ein Wahrzeichen des Westberliner Boulevards. Per Postkarte werden die Virtinen in alle Welt geschickt.

Wenn es nach der Kunsthochschulabsolventin ginge, würden bald Ferienmotive die Glaskästen schmücken. Sie will dem Ferienmotto treu bleiben und zeigt die Musterentwürfe in ihrer Mappe. In ihrer gelungensten Vitrine stecken graue Herrenhüte zwischen bunten Herbstblättern. An der Glaswand klebt eine rote Banklehne. Je drei Elemente sollen auch die anderen Schaukästen schmücken: eins mit Bezug auf den benachbarten Laden, eins als Feriensymbol und eins für die Flaniermeile.

Heike Biechteler kennt den Ku‘damm schon lange. Als Kind ist sie hier oft mit ihren Eltern zusammen einkaufen gegangen. Sie stammt aus Westberlin. Heute wohnt sie in Mitte, dort, wo es fast schon Prenzlauer Berg ist, wegen ihrer in dem Kiez vorhandenen sozialen Kontakte. Die anhaltende Konkurrenz in der Stadt zwischen Ost und West findet sie zwar nicht mehr aktuell. Schließlich habe Berlin derzeit andere Sorgen. Doch der Ku‘damm habe mehr Charakter als die wieder aufgebaute Friedrichstraße, in der es ausschließlich Geschäfte gebe. Sie mag ihn eben, den Kurfürstendamm. „Da ist immer was los, auch nachts“, sagt die Architektin. Manchmal sitzt sie einfach auf einer Bank und beobachtet das Treiben.

„Die Straße hat Geschichte“, findet sie. Die reicht bis ins Jahr 1750 zurück. Damals war der Ku‘damm nur ein Weg zum Grunewald. Aber Bismarck wollte unbedingt einen Boulevard haben. In Paris hatte er die Champs-Élysées gesehen. Nur halb so groß wie der Boulevard der Franzosen, geriet der Ku‘damm aber zum Witz. „Er ist nicht mal gerade“, kichert Biechteler. Auf den Champs-Élysées hat man freie Sicht, vom Anfang bis zum Triumphbogen. Der Kurfürstendamm hat zwei Knicke, die Tauentzienstraße immer mit eingerechnet.

„Es fehlt etwas, was den Ku‘damm zusammenhält“, sagt Biechteler und streicht sich durch das kurze, schwarze Haar. Als Architektin versucht sie, Orte zu verstehen. Aber was macht den Ku‘damm aus? Touristenmeile auf der Tauentzienstraße, Gucci und Prada zwischen Breitscheid- und Olivaer Platz, Kiez vom Adenauerplatz bis Halensee und schließlich, von der Halenseebrücke bis zum Rathenauplatz Peripherie. Die entsprechend abnehmende Passantendichte hat Biechteler in einem Diagramm dargestellt. „Straße ohne Erinnerung“ nannte der Architekt und Soziologe Siegfried Kracauer den Möchtegernboulevard und beschrieb, dass er den Bäcker von gestern schon am nächsten Tag vergeblich suchte. Das sei eine „Charaktereigenschaft“, meint Biechteler. Gerade das Uneinheitliche und die Spekulation machten den Ku‘damm aus.

Zu einem übergreifendem Thema will sie der Straße aber doch verhelfen. „Er braucht etwas, was ihn von anderen Straßen abhebt, ein Image.“ So ist Biechteler auf Ferien gekommen. „Die machen jedem Spaß. Und der Ku‘damm hat sowieso schon etwas Leichtes“, findet sie.

Aber Ferien im Schaukasten, das wird schwierig. Bis jetzt haben Biechteler und ihre Freundin noch keinen Investor für das Projekt begeistern können. Der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf hat ihnen gesagt, dass die Kästen einer Reihe von Grundstücksbesitzern gehören. Die haben sie an die Geschäftsinhaber verpachtet. Also müssten die beiden jeden Ladeninhaber einzeln um Geld und Erlaubnis fragen. Eben eine „Sisyphusarbeit“. Das hatte der Vorsitzende der Einzelhandelsgesellschaft gesagt, als sie ihm den Vorschlag unterbreiteten. Die Schaukästen ziehen sich nämlich von der Gedächtniskirche bis zur Halenseebrücke. Aber „gut Ding will Weile haben“. Heike Biechteler lacht wieder.

Gemeinsam mit ihrer Freundin will sie noch eine Zeit lang probieren, die Idee an den Mann zu bringen. Vorerst versuchen sie es noch mal eine Nummer kleiner: Sie wollen Tüten für den Ku‘damm machen – mit Ferienmotiv natürlich. Aber auch dafür muss noch ein Geldgeber gefunden werden.

Die Kellnerin mit der gestärkten Schürze kassiert. Dann geht es an den Schaukästen vorbei den Kurfürstendamm hoch. Die Architektin will noch an der Vogelvoliere im Viktoriaareal vorbeischauen: „Wenn man den Vögeln zuguckt, fühlt man sich wie in einer anderen Welt.“ Wie in den Ferien eben.

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