Im Ring ein Schmetterling

Mehr als eine Legende: Michael Mann zeigt mit „Ali“, wer „the world’s greatest“ ist, war und sein wird. Will Smith macht sich prima in der Rolle des Boxchampions, Großmauls, Kriegsdienstverweigerers und bekennenden Muslims Muhammad Ali

von JAN DISTELMEYER

Bereits im Vorfeld hatte sich eine mächtige Rückendeckung aufgebaut: „Ich bin der Einzige, der die wahre Geschichte meines Lebens kennt. Und Will Smith und Michael Mann sind die einzigen Menschen, denen ich das nötige Vertrauen dafür entgegenbringe, sie für die Leinwand zu erzählen. Ich stehe ihnen bei.“ Der Reiz und das Problem aber, oder besser: die Herausforderung eines Films über Muhammad Ali liegt gerade darin, dass dieser Beistand wenig nützt. Er endet spätestens, sobald der Film beginnt und auf unsere Erwartungen trifft, die nicht besser hätten geschürt werden können als durch die Verknappung des Titels: „Ali“.

„Lebende Legende“, „the greatest“, „larger than life“, „mehr als ein Champion“ – worauf wir uns zuallererst einigen können, ist der Superlativ. Er ist mehr als, und schon damit, indem Muhammad Ali sich sowohl über den bisherigen Boxsport als auch über den bisher zugestandenen Wirkungsradius afroamerikanischer Sportler erhob, endet die Kontrolle desjenigen, der buchstäblich über sich selbst hinausgewachsen war. „Ich habe die Welt erschüttert!“, hatte er nach seinem ersten Weltmeisterschaftssieg über Sonny Liston 1964 gerufen – und die Welt nahm sich seiner an. So täuscht die Rede von „dem Mythos“ Muhammad Ali nicht selten darüber hinweg, dass mit diesem Mann eben keine einheitliche Legende, kein fester Körper verbunden ist.

„Mein“ Muhammad Ali etwa, der schwere Weltmeister nächtlicher Kindheits-Fernseherlebnisse, der als strahlender Halbgott bei aller Bedrängnis der Herausforderer doch immer wieder zurückkam, passte glänzend zum DC-Comic „Superman vs. Muhammad Ali“, in dem er 1978 sogar „den Stählernen“ versohlen durfte. Dieses Bild aber skizzierte nicht den Muslim, der 1964 seinen „Sklavennamen“ Cassius Clay ablegte, als Freund von Malcolm X der „Nation of Islam“ beitrat und erst von deren Anführer Elijah Muhammad mit dem Namen Muhammad Ali („Der Lobpreisung würdig“) geehrt wurde.

Die Wege des Helden

Also, wer ist gemeint? Der junge Weltmeister, der mit seinem leichtfüßigen Stil, „float like a butterfly, sting like a bee“, den Sport veränderte. Der Kriegsdienstverweigerer, der mit „No Vietcong ever called me nigger!“ und „I know where Vietnam is on TV“, den Vietnamkrieg noch vor den Schüssen an der Kent State University in die USA verlegte. Das „Drückeberger-Arschloch“, als das ihn nicht nur Richard Nixon sah. Der gut aussehende Mann aus der Mittelklasse, der Joe Louis einen „Uncle Tom“ und andere Gegner „blöde Nigger“ nannte. Der Ex-Champ, dem der Bürgerrechtler Julian Bond nicht verzeihen kann, dass er sowohl Reagan als auch Bush senior unterstützt hat. Der an Parkinson erkrankte Mann, der 1996 bei seiner Eröffnung der Olympischen Spiele in Atlanta wie ein endgültig heimgekehrter Held der Nation gefeiert wurde. Der „berühmteste amerikanische Muslim“, der sich nach dem 11. September 2001 vehement dagegen aussprach, den „Islam als eine Todesreligion“ zu dämonisieren, und daraufhin in den USA Schweigen oder Kritik erntete: „How the greatest became an Islamic teddy bear.“

Muhammad Ali ist all das (und mehr), eine widersprüchliche Summe der einzelnen Teile und gleichzeitig je das Bild, das wir uns von ihm machen wollen. Es kommt darauf an, wo wir es beginnen und enden lassen. Michael Manns Film beginnt im Februar 1964, einen Tag bevor Cassius Clay gegen Liston zum ersten Mal Weltmeister wird: Wir sehen Clay (Will Smith) eingehüllt in Trainingskleidung dunkle Straßen entlanglaufen, parallel geschnitten wird ein Konzert, in dem Sam Cooke (David Elliott) ein Medley seiner Hits präsentiert. Ein Polizeiwagen fährt langsam an Clay heran, der weiße Officer fragt: „Wovor läufst du weg, Junge?“

Noch immer singt Sam Cooke, noch immer trainiert Clay schweigsam, diesmal am Punching-Ball. Zwischenschnitte zu Cookes „(Don’t Fight It) Feel It“ zeigen den kleinen Cassius, der im Bus an der Hand seines Vaters auf das Schild „Colored People Only“ zugeht. Es folgt Malcolm X (Mario van Peebles) bei einer Rede: „Wenn irgendjemand die Hand gegen dich erhebt, dann sorge dafür, dass er nie wieder die Hand gegen irgendjemanden erhebt. Nie wieder.“ Daraufhin trainiert Clay still und konzentriert, bis ein letzter Schnitt zum öffentlichen Wiegen vor dem Kampf gegen Liston springt und Cookes Medley endet: „Bring it on home to me.“

Exemplarisch für den Stil des ganzen Projekts nimmt sich dieser Anfang Zeit, bevor wir zum ersten Mal das berühmte „Großmaul“ Cassius Clay zu hören bekommen. Erst als er beim Wiegen auf Gegner und Presse trifft, beginnen jene berühmten Pöbeleien und großspurigen Ankündigungen, die möglicherweise auch Skeptikern die Besetzung von Will Smith verständlich erscheinen ließen. Die ersten Minuten aber haben längst etwas anderes entworfen: das Porträt eines ruhigen, konzentrierten, politischen jungen Mannes, der sein Ziel fest im Auge hat. In diesen Szenen ist Will Smith genauso gut wie in den späteren Box- oder Rededuellen und mit seiner auf 100 Kilo hochtrainierten Figur so glaubwürdig, wie ein Ali-Darsteller eben sein kann. Seine Überzeugungskraft – auch ohne die gereimten Gags „You think the world was shocked when Nixon resigned? Wait till I whup George Foreman's behind“ – ist wichtig, denn in Manns Porträt steht nicht der brillante Rhetoriker im Vordergrund, der die Schallplatte „I Am The Greatest“ aufgenommen hatte.

Wenige Kampfminuten

Auch nicht der Boxer: In den über zweieinhalb Filmstunden gibt es ganze sechs Kämpfe zu sehen, die alle, bis auf den etwas längeren Foreman-Fight in Kinshasa, nur wenige Minuten andauern. Doch ist es nicht so, dass „Ali“ keine Bilder für das Boxen fände. Im Gegenteil wechselt die von Emmanuel Lubezki („Y Tu Mama Tambien“, „Sleepy Hollow“) dirigierte Kamera sehr gezielt zwischen Nähe und Distanz zu den Kämpfern, und kurze Über-die-Schulter-Blicke einer Videokamera ergänzen den Rhythmus von Übersicht und Identifikation durch eine eigene, verwischende Dynamik. Dass wir trotzdem nicht näher an Alis Boxstil geführt werden und es bei den wenigen Kampfminuten bleibt, entschuldigen wir vielleicht mit einer nahe liegenden Vermutung: Es geht diesem Film um etwas anderes.

Die Frage jedoch, worauf „Ali“ tatsächlich hinauswill, ist schwer zu beantworten. Zu viel wird in der Ruhe, mit der Michael Manns Film seinen Star beobachtet und seinem Glanz nachgeht, nur angerissen. Da wäre z. B. der Konflikt mit seinem Vater, der Ali nach der Ablehnung seines „Sklavennamens“ vorwirft, er habe vergessen, wer er sei. Probleme mit der „Nation of Islam“ tauchen auf, Ali lässt Malcolm X fallen, als dieser bei Elijah Muhammad in Ungnade gefallen war, weil er „nicht länger nichts tun kann“. Die Freundschaft zum schlecht toupierten Sportreporter Howard Cosell (Jon Voight) wird für Momente mit einer Aufmerksamkeit bedacht, die keine Seite dieser öffentlichen „Schlag mich doch! Kannst du haben!“-Beziehung einem schnellen Gag opfert. Alis beharrlicher Widerstand gegen den Richterspruch, der ihm zwischen 1967 und 1970 als Kriegsdienstverweigerer den Weltmeistertitel aberkannte, die Boxlizenz und die Reisefreiheit entzog, bekommt seinen Raum und damit auch die Anklage gegen das System: „Ihr seid meine Gegner, nicht die Japaner, Chinesen oder Vietnamesen.“

Man könnte diese Reihe weiterführen, ergänzen etwa um Muhammad Alis egozentrisches Verhältnis zu Frauen, sein Erschrecken vor den Konsequenzen des eigenen Ruhms in Afrika, als er dort auf sein Comeback gegen George Foreman zuarbeitet – und stünde plötzlich vor dem Ende des Films. „Ali“ bricht unvermittelt mit dem Sieg in Kinshasa ab. Das seltsam unpassende Bild des jubelnden Weltmeisters entlässt uns im Jahre 1974, ohne einen zuvor aufgenommenen Faden zu Ende geknüpft oder mit den anderen zu einem neuen Netz verbunden zu haben. Im Gegenteil schließt Michael Manns Film völlig unnötig mit genau den Ereignissen in Zaire, die Leon Gasts berühmte Dokumentation „When We Were Kings“ weit ausführlicher erzählt hat.

Indem „Ali“ diese Gestalt einer perfekt ausgestatteten Aufzählung mit abruptem Ende annimmt, setzt er sich dem Vorwurf aus, in seinem gewählten Zeitabschnitt von 1964 bis 74 nie auf den Punkt zu kommen. Er verabschiedet sich, ohne je angekommen zu sein. Der Eindruck, dieser Film sei irgendwie nicht fertig, könnte jedoch auch zu einem ganz anderen Problem führen. Wenn es „Ali“ gerade darum geht, die Zuspitzung „der Legende“ zu vermeiden und ein Nebeneinander verschiedener Aspekte und Konflikte zuzulassen, geht der Vorwurf, der Film sei unkonzentriert und zu lang, in die falsche Richtung. Dann stellt sich eher die Frage, warum er sich auf mehr oder weniger bekannte Details der bekanntesten Epoche beschränkt und sowohl die späteren Momente des Scheiterns in den 70ern und 80ern ausspart als auch die neue Verehrung für den erkrankten Muhammad Ali der 90er. So gesehen nimmt sich Michael Manns „Ali“ nicht zu viel, sondern zu wenig vor. Er hätte seinen mäandernden Glanz noch wesentlich länger ausbreiten müssen.

„Ali“. Regie: Michael Mann. Mit Will Smith, Jamie Foxx, Jon Voight, Mario van Peebles, Jada Pinkett Smith, Nona M. Gaye u. a. USA 2001, 159 Min.