: Wasser auf Schröders Mühle
Hochwasser löst heftige Debatte über zukünftige Umweltpolitik aus. Bundesregierung beschließt Sonderprogramm und stellt 100 Millionen Euro Soforthilfe bereit. Flut fordert mehrere Todesopfer
BERLIN/DRESDEN taz ■ Nach den Flutwellen gibt es nun die Reisewelle: Bundespolitiker und solche, die es werden wollen, eilten zu den Schauplätzen des Hochwassers. Angesichts der Unwetterkatastrophe fordert Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Atempause im Wahlkampf. Er war am Mittwoch ebenso ins überschwemmte Dresden geflogen wie ein Tag davor Innenminister Otto Schily.
Der Umweltschutz ist damit plötzlich ein Thema im Bundestagswahlkampf geworden. Und die CDU/CSU bemüht sich jetzt vergebens, dieses von ihr aus politischem Kalkül vernachlässigte Gebiet notdürftig zu besetzen. Eigentlich hatte man damit gerechnet, dass der Mief der umweltschützenden Besserwisser vor allem dem grünen Koalitionspartner bei den Wählern schaden würde.
Schröder hat eine bundesweite Hilfsaktion für die betroffenen Gebiete gefordert. Er legt ein zwölf Punkte umfassendes Sonderprogramm vor. Im einzelnen sieht das Sofortprogramm 100 Millionen Euro für Menschen vor, die ihren Besitz verloren haben. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau gewährt zinsgünstige Darlehen in gleicher Höhe. Die Landwirtschaftliche Rentenbank will eine Soforthilfe von 10 Millionen Euro bereitstellen. Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig sagte 25 Millionen Euro für die Instandsetzung der Straßen zu.
Schröder wertet die Hochwasserschäden in Sachsen als einen schweren Rückschlag für den Aufbau Ost. Angesichts der katastrophalen Schäden müsse man darüber nachdenken, den neuen Solidarpakt II für Ostdeutschland vorzuziehen. Ursprünglich sollten die 150 Milliarden Euro ab 2005 zur Verfügung stehen.
In Sachsen sind bis Mittwochmittag acht Menschen in den Fluten gestorben. Vier Menschen wurden vermisst. Nach Einschätzung des Krisenstabes im Innenministerium ist eine Entspannung nicht in Sicht. Gründe seien die weiter ansteigende Elbe und das Anschwellen von Spree und Neiße in Ostsachsen.
In Dresden wird der Höchststand erst heute erwartet. Wie hoch die Pegel steigen, lässt sich immer weniger abschätzen: Elbaufwärts im tschechischen Ústí nad Labem wird für morgen eine Pegelsteigerung um weitere vier Meter befürchtet. „Die Elbe wird dann doppelt so viel Wasser nach Deutschland führen wie in normalen Zeiten“, sagte der Meteorologe Jörg Kachelmann. „Der jetzige Zustand in Ostdeutschland ist erst der Anfang.“ Bisher sei ein Schaden von mehr als einer Milliarde Euro entstanden, so der Chef des sächsischen Krisenstabes. Allein die Deutsche Bahn habe den Schaden im Großraum Dresden mit einer halben Milliarde Euro beziffert. Immerhin seien die meisten Erzgebirgsorte wieder weitgehend wasserfrei.
Weiter unten an den Flüssen versucht der Katastrophenschutz zu retten, was zu retten ist. Im Landkreis Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) haben am Mittwoch Einsatzkräfte und freiwillige Helfer fieberhaft daran gearbeitet, die Deiche vor dem Jahrhunderthochwasser der Mulde zu sichern. Vor allem die Deiche bei Greppin wurden mit Sandsäcken verstärkt, um den Chemiepark Bitterfeld vor Überflutungen zu schützen. Zuvor hatte die Behörden mehr als 10.000 Menschen in der Region aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen, darunter auch in Dessau, wo die Mulde in die Elbe fließt. REM
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