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Die Hawaiische Dame

Im Kino war Elvis stets ein toller Frauenheld. Sein Revier reichte biszum Hansaplatz: Eine kurze Geschichte über einen vergessenen Film

von CLAUDIUS HAGEMEISTER

Hawaii sieht aus wie das Hansaviertel mit Palmen und Sandstrand. Das belegt ein Film, der mit Elvis Presley in der Hauptrolle besetzt ist. Der „King of Rock ’n’ Roll“, wie er von seinen Fans gern genannt wird, spielt darin einen lebenslustigen und sangesfreudigen Piloten, der mit verschiedenen Frauen gleichzeitig anbandelt, was zu einigen Verwicklungen führt.

Am Hansaplatz angelangt und der U-Bahn entstiegen, fläzt sich Elvis auf eine Parkbank, das Gesicht in die Frühlingssonne und die Augen nach Hawaiischen Damen gereckt. „Bedenkt man“, denkt er, „die geographische Lage Hawaiis, so muss man konstatieren, dass diese inmitten des Pazifischen Ozeans gelegene Inselgruppe, deren Entfernung zu Japan nicht erheblich größer ist als zu den USA, wohl in dem selben Maße für sich in Anspruch zu nehmen berechtigt ist, Drehscheibe zwischen Ost und West zu sein, wie Berlin.“

Eine Hawaiische Dame kommt des Weges, und Elvis streckt sich, bläst die Brust auf, fährt sich durchs Haar und flüstert hawaiische Liebesschwüre: „Nihoa! Kauai! Oahu! Molokai! Maui! Hilo! Kilauea! Loa! Mauna! Honolulu! Pearl Harbour!“ Aber die Hawaiische Dame beachtet ihn nicht. Elvis geht zu „Extra“, ehemals „Bolle“, und kauft Bier.

Die Hawaiische Dame hat sich am Morgen mit Sicherheit nicht die Zähne geputzt, denkt er, als er wieder auf seiner Bank sitzt. Das hat sie nämlich gar nicht nötig, weiß Elvis, denn der Atem der Hawaiischen Dame ist stets unvermindert frisch.

Abermals wird Elvis aus seinen Gedanken gerissen, denn das tiefe Grollen viermotoriger Kampfflugzeuge läutet den japanischen Überraschungsangriff auf das Hansaviertel ein, und schon senken sich kreischend die ersten von fanatisierten Kamikazefliegern gelenkten Maschinen auf die 1957 errichteten architektonischen Renommierobjekte. Elvis benötigt einige Sekunden, bis er begreift, das Bier wegwirft und sein Heil in der Flucht sucht, verfolgt von einem Tiefflieger, der Maschinengewehrsalven auf ihn abfeuert. Hinter den Trümmern des Grips- Theaters, aus denen verwundete Kinder kriechen, wirft er sich in Deckung. Neben ihm bewegt sich etwas. Elvis blickt auf und schaut geradewegs in dunkle, kajalumrahmte Mandelaugen. – Die Hawaiische Dame ist in jeder Lage perfekt geschminkt.

Ihre abenteuerliche Flucht, in deren Verlauf die Hawaiische Dame ein ums andere Mal von Elvis gerettet werden muss, führt sie über den S-Bahnhof Bellevue auf verworrenen Umwegen zum Flughafen Tempelhof, wo sie einen als Ausstellungsstück vorgesehenen ehemaligen Rosinenbomber kapern, mit dem sie ostwärts fliegen. Schließlich müssen sie auf einer inmitten des Pazifischen Ozeans gelegenen Inselgruppe notlanden, die so aussieht wie das Hansaviertel mit Palmen und Sandstrand.

Aus: „Tanne & Quadrat“ (Geschichten), Morpheo Verlag Berlin

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