Wir sind alle Mülheimer

Die Düsseldorfer Staatskanzlei will dem Filmbüro NRW die Mittel streichen. Heftige Proteste werfen ein Schlaglicht auf die deutsche Filmförderung. Deren Nachhaltigkeit braucht ganz eigene Kriterien

Filmförderung als Ländersache ist dahervon bundesweiter Bedeutung

von TOBIAS HERING

„Ein gutes Jahr für den deutschen Film“, heißt es, und gemeint ist nicht nur „Der Schuh des Manitu“. Vor einer Woche wurde auf dem Festival in Locarno ein deutscher Film, Iain Diltheys „Das Verlangen“, mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. DerAbschlussfilm an der Filmhochschule Ludwigsburg wurde mit einem Mini-Budget von 200.000 gedreht. Ein Bestätigung für Kulturhäuptling Julian Nida-Rümelin, der die Debatte um den deutschen Film zu einer Debatte um die deutsche Filmförderung machen will, indem er daran erinnerte, dass Filme zu allererst ein Kulturgut, nicht Wirtschaftsfaktor seien?

Nun sorgt eine kurze Meldung aus Düsseldorf für Katerstimmung. Im nordrhein-westfälischen Landesetat 2003 ist nach einer Mitteilung der Staatskanzlei für das Filmbüro Nordrhein-Westfalen kein Posten mehr vorgesehen. Die rund 1,7 Millionen Euro, die jährlich für „kulturelle Filmförderung“ zur Verfügung standen, seien gestrichen, der Verein mit Sitz in Mülheim/Ruhr möge sich unter dem Dach der Düsseldorfer Filmstiftung einfinden und dort seine lobenswerte Arbeit weiterführen. Der 30 Millionen-Etat der Filmstiftung müsse fortan für beide reichen. Was sich wie die Heiratsannonce zweier lange Verlobter liest, ist für Michael Wiedemann vom Filmbüro die Ankündigung eines „nicht wieder gut zu machenden Schadens für den deutschen Film“. Michael Schmid-Ospach, der Leiter der Filmstiftung, hält die erzwungene Gütergemeinschaft zwar für „bedauerlich“, mag darin aber keineswegs das Aus für den kulturellen Film erkennen, das Teile der Branche befürchten. Von einer „gesellschaftspolitischen Katastrophe“ spricht dagegen die Bundesvereinigung des deutschen Films in einem offenen Protestbrief an Ministerpräsident Clement. Kann ein kleiner Schritt in der nordrhein-westfälischen Haushaltspolitik so verheerend für die deutsche Filmlandschaft sein?

Die empfindlichen Reaktionen werfen ein Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen eines Großteils der deutschen Filmbranche. „Filmstiftung und Filmbüro, das ist wie Fleischesser und Vegetarier“, meint ein Produzent, der mit beiden Einrichtungen gute Erfahrungen gemacht hat. Es geht also nicht um gute oder schlechte Filme, sondern darum, dass es für eine Gaunerkomödie mit Starbesetzung anderer Förderinstrumente bedarf, als für einen niedrig budgetierten Dokumentarfilm über einen RAF-Aussteiger. Während sich die Filmstiftung bemüht, den Spagat zwischen Kultur- und Standortförderung hinzubekommen, ist das Filmbüro eigens für Projekte zuständig, „deren Entstehung nicht oder nicht vorrangig auf kommerzielle Verwertungsinteressen zurückzuführen ist“, wie es in den Grundsätzen heißt.

Dieses zweigleisige Förderprofil galt bundesweit bislang als vorbildlich, weil es der Heterogenität des kreativen Potenzials gerecht wird. Angesichts einschneidender Sparmaßnahmen erscheint dies der Düsseldorfer Staatskanzlei nun als „nicht mehr vermittelbar“. Es geht um Legitimationsprobleme von Kulturförderung in Zeiten leerer Kassen. Bei der Durchsetzung eines Sparhaushalts ist der Luxus von zwei Filmförderungen keine Argumentationshilfe. Misst man aber die Bedeutung des Filmbüros lediglich an den gestrichenen Haushaltsmitteln, so unterliegt man einer Sehstörung, die in der Debatte um die deutsche Filmförderung chronisch zu werden droht: Die Nachhaltigkeit von Filmförderung lässt sich nicht an der absoluten Fördersumme ablesen; es kommt auf die Kriterien an, nach denen das Geld vergeben wird. Und gerade darin unterscheidet sich das Filmbüro von anderen Förderinstitutionen.

In den Richtlinien der Landesfilmförderungen spiegelt sich das Bestreben, Kulturförderung nach ihrem wirtschaftlichen Erfolg zu legitimieren. Der Idealfall ist in dieser Logik ein Film, der schon in seiner Entstehung einen spürbaren Regionaleffekt hat, der darüber hinaus kommerziell so erfolgreich ist, dass er die als Darlehen gewährten Fördermittel zum Teil wieder einspielt, und der sich schließlich auch noch als kulturelles Standortprodukt auswerten lässt. Zwar verweisen die Landesförderungen zu Recht darauf, dass sie immer wieder auch in kleine und „schwierige“ Filme investieren: in„Black Box BRD“, „27 Missing Kisses“, „Crazy“ oder „Fickende Fische“.

Wer in Deutschland einen „ambitionierten“ Film realisieren will, landet oft beim Filmbüro Nordrhein-Westfalen. Dessen exzellenter Ruf verdankt sich der Tatsache, dass sich das Anliegen „kultureller Filmförderung“ tatsächlich in der Praxis niederschlägt: Die ökonomischen Hürden für den Antragsteller sind niedrig und der künstlerische Wert eines Projekts wiegt im Zweifelsfall schwerer als der zu erwartende Standorteffekt. Das eigene Profil des Filmbüros zeigt sich vor allem an der Besetzung der Gremien: Während bei den Landesfilmförderungen die Fernsehanstalten und Landesbanken ein Mitspracherecht haben, sind die Juroren des Filmbüros ausschließlich Filmschaffende. Michael Wiedemann hält daher die Hoffnung, auch unter dem Dach der Filmstiftung könne das Filmbüro seine Arbeit fortsetzen, für eine Illusion. Garant für die über 20-jährige Arbeit des Filmbüros sei stets dessen Eigenständigkeit gewesen. Denn: „Die Struktur bestimmt, was hinten rauskommt.“

Michael Schmid-Ospach von der Filmstiftung hält die Aufregung um das Filmbüro für unverhältnismäßig. Er wehrt sich dagegen, dass die Filmstiftung dabei als ein behäbiger Verwaltungsapparat erscheine. „Kulturelle Filmförderung beginnt bei uns ja nicht erst, wenn das Filmbüro einzieht“, meint er, gerade zurück aus Locarno, wo der von der Filmstiftung geförderte Dokumentarfilm „Forget Baghdad“ mit dem Preis der Kritik ausgezeichnet wurde. NRW werde auch weiterhin ein Garant für den anspruchsvollen Film sein, gibt sich Schmid-Ospach ebenso föderal wie Julian Nida-Rümelin. Der ließ nämlich mitteilen, er nehme kulturelle Filmförderung genauso ernst wie die Länderhoheit in der Kulturpolitik.

Hier liegt nun aber die Krux in der föderalen Förderlandschaft. Gerade weil Filmförderung weitgehend Ländersache ist, ist die Kulturpolitik eines Landes immer auch von bundesweiter Bedeutung. Ein wirklich gutes Jahr für den deutschen Film wird dasjenige sein, in dem sich diese Erkenntnis auch in den Förderkriterien wiederfindet.