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Unbehelligt auf der Pirsch

„Du wirst nicht zur Ruhe kommen, wenn du gehst“ – für Opfer von Liebeswahn und Psychoterror gibt es oft keine Hilfe. Denn der strafbare Tatbestand des Stalkings ist schwer zu recherchieren

von SAVINA KOCH

Noch immer hört sie Telefongeklingel. Es hat sich in ihrem Kopf festgesetzt. Die 52-jährige Frau aus Ottensen arbeitet auch nicht mehr. Schon verwitwet, hatte sie sich vor zwei Jahren noch mal verliebt. Eigentlich war der Kollege aus der Büromöbel-Firma verheiratet – aber unglücklich, wie er sie glauben machte. Das war im Sommer, und schon im Herbst stimmte alles nicht mehr. Sie wollte nicht Geliebte sein und machte Schluss. Dann fing der Terror an.

Der 47-jährige gelernte KFZ-Mechaniker aus Stade rief anfangs täglich an. Später stündlich. Tags konnten es hundert Anrufe werden, nachts mindestens zehn. Er wollte sie wiederhaben, bat, flehte, drohte. Er zerstach die Reifen ihres Wagens, klingelte bei ihrer Mutter, ihren Kindern. Auch ein Strafbefehl im Juli 2000 über 1200 Mark konnte ihn nicht stoppen. Diesen April dann verurteilte ihn das Altonaer Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 9600 Euro. Im Prozess war er geständig. „Es ist nicht so, dass ich ein Unmensch war“, beteuerte er. Er habe mit seinem liebestollen Tun die Gesundheit seines Opfers beschädigt, hielt ihm die Richterin vor.

Stalking: Die Beute langsam jagen

Dieses Urteil ist eine Ausnahme. Denn schwer ist es für die Ermittler, den strafbaren Tatbestand der „Stalker“ zu recherchieren. Stalking bedeutet auf Deutsch „Anpirschen“, die Beute langsam jagen. Stalker spiegeln wider, wie unfähig die Gesellschaft sein kann. Vereinsamung ist der Auslöser für den Liebeswahn. Das idealisierte Liebesobjekt füllt die vorhandene Lücke. Kino-Filme suggerieren: Beharrlichkeit im Liebeswerben lohnt sich. Ein Nein meint oft doch ein Ja. Opfer können Prominente werden. Meist jedoch sind es Menschen aus dem Bekannten- oder Familienkreis.

Ein 42 Jahre alter Mann aus Rheinland-Pfalz konnte den Scheidungswunsch seiner Ehefrau nicht akzeptieren. Er drangsalierte die Mutter seiner siebenjährigen Tochter auch bei ihren Eltern, zu denen sie geflüchtet war. Die Frau wandte sich an verschiedene Stellen – und bekam zu hören, dass man ihr nicht helfen könne, solange nichts geschehen ist. Nach vier Jahren ohne Pause und Ruhe stürmte der Besessene schließlich das Haus und erschoss Ehefrau und Schwiegereltern. Die Tochter überlebte, sie hatte sich versteckt.

Ex-Partner bilden die größte Gruppe von Opfern. Das ergibt eine Studie der australischen Forscher Paul E. Mullen und Michele Pathe aus dem Jahr 1994. Unter den Stalkern gibt es sowohl Psychotiker, die leicht zu behandeln sind, weil die Diagnose eindeutig ist. Aber auch ganz „normale Menschen“ oder solche mit einer leichten Persönlichkeitsstörung. Das sind Menschen, die nach einer Trennung oder einem vielversprechenden Gespräch oder Blick in ein Dominanzverhalten geraten, das auch nicht – wie bei klassischem Liebeskummer – durch Zeitablauf abgelegt wird.

Beim Opfer erzeugen sie dabei Angst und Schuldgefühle. Die Verfolgung kann die Betroffenen bis zum sozialen Abstieg, zur Isolation treiben. Viele Beziehungen überleben es nicht, wenn ein Partner Opfer eines Stalkers ist, das Misstrauen ist zu groß. Wer glaubt schon seinem Freund, dass er nicht doch ein dauerhaftes Verhältnis mit der Belästigerin hat. Jedes vierte Opfer denkt über Selbstmord nach.

Keine reine Männersache

Das Kieler Landgericht hat im Februar 1996 eine 33 Jahre alte Architektin zur Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus verurteilt, die einen ehemaligen Mitstudenten mehr als zehn Jahre lang mit Liebesbeteuerungen, tätlichen Angriffen und Morddrohungen verfolgt hatte – trotz vieler Strafanzeigen. Bei jedem Ausgang lauerte sie dem Angebeteten und seiner Frau auf, riss sie an den Haaren, besprühte beide mit Reizgas.

In Amerika ist Stalking ein gängiger Begriff. Die geschätzte Opferzahl geht in die Millionen. Nachdem 1989 Robert John Brado eine Schauspielerin vor deren Tür erschoss und danach in kurzer Zeit vier Morde im Liebeswahn begangen wurden, erließ die Regierung Gesetze im Schnelldurchlauf. Seit 1996 gibt es ein Stalking-Gesetz, mittlerweile auch in Großbritannien, Kanada und Australien. Anti-Stalking-Einheiten sind darauf angesetzt, die Opfer zu schützen und die Täter zu fassen. In Deutschland fehlt ein solches Gesetz bisher.

Psychologen und Kriminologen raten, schon in der Zeit der akuten Belästigung gegen den Stalker gerichtlich vorzugehen. Nach dem Legalitätsprinzip muss jeder angezeigten Straftat nachgegangen werden. Oft sind Tatbestände wie Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung, Verleumdung, Nötigung oder Bedrohung erfüllt. Haftbefehl wird nur bei dringendem Tatverdacht oder der Gefahr einer schwerwiegenden Straftat erlassen. Man kann aber auch zivilrechtlich per einstweiliger Verfügung beantragen, dass der Stalker seine Handlungen zu unterlassen hat. Bei noch verheirateten Paaren kann die gemeinsame Wohnung der Frau zugewiesen werden, der Mann muss ausziehen. Bei Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit kann man nach dem neuen Gewaltschutzgesetz, das Anfang des Jahres inkraft getreten ist, den Belästiger für zehn Tage aus der unmittelbaren Umgebung entfernen lassen.

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