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Der Sonderweg nach Pankow

Über die Mauer hinweg: In Leipzig wird in der Ausstellung „Klopfzeichen“ das Crossover deutsch-deutscher Kulturkontakte der 80er-Jahre aufgearbeitet. Obwohl es nur selten zu gemeinsamen Projekten kam, entwickelten sich neue Herangehensweisen in Malerei, Fotografie und Performance zeitgleich

Auf beiden Seiten der Mauer gab es einen Rückbezug auf den Expressionismus

von MICHAEL NUNGESSER

Rund zehn Jahre vergingen, bis die beiden deutschen Staaten nach dem Mauerbau im Grundlagenvertrag zu einem geregelten Nebeneinander fanden. Noch einmal so lange brauchte es, bis nach einem „Verhandlungsmarathon“ auch ein Kulturabkommen verabredet wurde, das aber erst 1986 in Kraft trat – wenige Jahre vor Wende und Wiedervereinigung. Ein weiteres Jahrzehnt später sind nun die letzten Jahre der Trennung und die Versuche ihrer Überwindung in Leipzig museal zu besichtigen.

Dass sich beide Staaten gerade auf dem Felde der Kultur nicht so fremd waren, wie es scheint – auch jenseits der offiziellen Kontakte –, machen dort zwei Ausstellungen deutlich, die unter dem gemeinsamen Titel „Klopfzeichen“ stehen. Angeregt von Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, die Mitveranstalter ist, zeigen das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig als Dependance der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und das Museum der bildenden Künste Leipzig, beide in engster Nachbarschaft gelegen, Kunst- und Kulturentwicklung der Achtzigerjahre in BRD und DDR.

„Mauersprünge“ nennt sich doppeldeutig die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum, die sowohl die Sprünge in der Mauer als auch über sie hinweg thematisiert. Ihr Schwerpunkt liegt auf der DDR, wo die Folgen des Mit- und Nebeneinanders der beiden Kulturen existenzieller und gravierender waren. Ausgangspunkt sind Wolf Biermanns Konzerte 1976 in der BRD und seine Ausbürgerung aus der DDR, die hier das kulturelle Klima für einige Zeit vereisen ließen. Zahlreiche prominente Kulturschaffende protestierten, in der Folge verließen viele Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Theater- und Filmregisseure das Land. Ein schmerzlicher Aderlass, der zugleich das Kulturleben der Bundesrepublik bereicherte. Man denke an Jurek Becker und Manfred Krug, Einar Schleef und Rolf Schneider, Angelica Domröse und Gerulf Pannach, A. R. Penck und Nina Hagen.

Wenige sind in all den Jahren den umgekehrten Weg gegangen wie etwa die Schriftsteller Joachim Seyppel und Gisela Kraft. Es gab Grenzgänger wie die DDR-Filmregisseure Frank Beyer und Egon Günther, die gelegentlich im Westen drehen durften. Und es entstand eine Subkultur, die immer schwerer zu kontrollieren war und die ihre eigenen Aktionsräume einforderte – eine Art Niemandsland, wie sich eine Westberliner Zeitschrift damals nannte.

Wechselseitige Wahrnehmung und Kontakte verliefen auf verschiedenen Ebenen, offiziellen und privaten, halblegalen und verbotenen, immer hart an der Grenze zwischen Widerstand und Anpassung, Selbstzensur oder Kompromisslosigkeit. Kuriose Objekte erinnern an die noch kurioseren Verhältnisse: die Lederjacke von Udo Lindenberg und Honeckers Schalmei als Gegengabe; die Flaschenpostsammlung von Wolfgang Niedecken mit Briefen enttäuschter DDR-Fans, nachdem die Kölschrockgruppe BAP wegen eines kritischen Liedes nicht auftreten durfte; oder Biermanns zersägter Tisch, dessen Ost- und Westteil sich nun wieder zu einem Ganzen fügen und der auf Sighard Gilles skulpturales Objekt „Deutscher Tisch“ von 1989 verweist, der noch klar von Grenzspuren markiert ist. Nur selten allerdings entstanden wirklich gemeinsame Projekte über die Mauer hinweg, wie die Illustrationen zur „Blechtrommel“ von Günter Grass durch den Dresdner Maler Hubertus Giebe, die aber erst 1990 auch in Buchform erschienen.

Der zweite Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit Malerei, Skulptur, Fotografie und Installation, die in beiden deutschen Staaten in den Achtzigerjahren entstanden und sich mit der gesellschaftlichen Realität auseinander setzten. Jeweils 39 Künstler aus Ost wie West wurden ausgewählt, bevorzugt eine damals an die Öffentlichkeit tretende neue Generation zwischen kritischer Ironie und subjektiver Sinnlichkeit. „Wahnzimmer“, der Titel dieses Ausstellungsteils, bezieht sich auf eine gleichnamige Fotoserie von Bernhard Johannes Blume von 1984, in dem er das deutsche Wohnzimmer durch visuelle Überlistung in einen Ort des Wahns verwandelt. Die Arbeit nimmt einen zentralen Platz in der Raumabfolge ein, die auch ohne textliche Verweise klar gegliedert ist. Ein in der Nachkriegszeit einsetzender „Prolog“ mit Werken von Hans Grundig und Werner Heldt, Rupprecht Geiger und Harald Metzkes, Willi Sitte und Konrad Klapheck zeigt auf, dass hinter verschiedenen Bildsprachen doch ähnliche Erfahrungen und Verarbeitungsstrategien stehen, die von Diktatur, Krieg und Niederlage geprägt waren. In „Baustelle der Identitäten“ wird an das systemübergreifende Werk von Joseph Beuys erinnert. Sein erweiterter Kunstbegriff findet im Osten bei den Aktivitäten von Erhard Monden und im Raum r-g Sredzkistraße 64 ein Echo, im Westen im Büro Berlin oder in Olaf Metzels „Türkenwohnung“.

Immer wieder finden sich Parallelen in der künstlerischen Herangehensweise: der sezierende, kühle Blick der Fotokamera auf die Stadtlandschaft im Osten bei Ulrich Wüst, im Westen bei Thomas Ruff und Candida Höfer. Während die Fotografen Gundula Schulze el Dowy und Erasmus Schröter hinter die Fassaden des Sozialismus schauen, lassen sich die Videofilmer Klaus vom Bruch und Marcel Odenbach auf die Brüche der deutschen Geschichte ein, denen der von Ost nach West emigrierte Künstler Lutz Dammbeck in seinem Heraklesprojekt durch digitale Versuchsanordnungen auf die Spur zu kommen versucht.

In der DDR entstand eine Subkultur, die immer schwerer zu kontrollieren war

Auch bei der neuen Begeisterung für die Malerei zu beiden Seiten der Mauer finden sich neben künstlerischen Rückbezügen auf die Expressionisten viele Anspielungen auf deutsche Geschichte einst und jetzt, in Hubertus Giebes „Zwei gekreuzte Männer“ ebenso wie in „Eiszeit“ von Milan Kunc, aber auch groteske Ausbrüche wie Peter Bömmels „Sprung aus der Geschichte“. Dazu kommen die der Punk-Musik verwandten ekstatischen Großstadtbilder von Trakia Wendisch, Klaus Killisch, Helmut Middendorf und Rainer Fetting. Die Westberliner Aktionsgruppe „Die Tödliche Doris“ und die ultimativen Endart-Bastler aus Kreuzberg bilden neben den Auto-Perforations-Artisten aus Dresden den Abschluss. Damit endet auch eine der absurdesten Phasen deutscher Geschichte und kommt zu ihrer Auflösung.

Die Doppelausstellung „Klopfzeichen“ will „als Beitrag zur produktiven Bestandsaufnahme kultureller und künstlerischer Leistungen in Ost und West“ verstanden werden. Sie wendet sich mit ihrem – vor allem im „Wahnzimmer“ praktizierten – komparatistischen Ansatz gegen die voyeuristisch-klischeehafte Darbietung und Abwertung der in der DDR entstandenen Kultur wie zuletzt 1999 in Weimar mit „Offiziell/Inoffiziell“. Durch Befragung und Analysierung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes wird die Vielfalt der Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten deutlich, aber auch die Kompliziertheit dieses Prozesses und die Gemengelage der Gefühle zwischen „Lethargie und Turbulenz“. Unterschiede sind ebenso zu erkennen wie Parallelitäten und Bezugnahmen, Beeinflussungen und Annäherungen.

Als nächste Station war für die Schau die Berliner Nationalgalerie verabredet. Doch der Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Peter Schuster, machte im letzten Moment einen höchst undiplomatischen Rückzieher und wehrte die Klopfzeichen ab. Seine Motive bleiben im Dunkeln. So wird die Doppelausstellung nach Leipzig im Ruhrlandmuseum und Museum Folkwang in Essen zu sehen sein. Für die Berliner Station wird nach einem neuen Ort der Präsentation gesucht.

Bis 27. Oktober, Zeitgeschichtliches Forum, Museum der bildenden Künste Leipzig. Katalog (Faber & Faber): 20 €

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