: Circus mit Angst und Schweiß
Auf der Bürgerwiese gastiert der Münchner Circus Krone mit einem unterhaltsamen und atemberaubenden Programm. Nur wo es spritzt und stinkt, sitzt man in der ersten Reihe
Circus? Nicht im Fernsehen? Bringt’s das noch? „Circus im Fernsehen ist wie eine Rose hinter Glas. Der Geruch fehlt eben“, sagt die Circus-Chefin Christel Sembach-Krone. Nicht nur der Geruch, wenn ein Pferd einen der wertvollen Äpfel fallen lässt.
Ein Höhepunkt im Programm der Krone-Tournee 2002 ist die Schau der acht Löwinnen. Wenn sie nach den Peitschenknallen des Martin Lacey in drei Meter Höhe an das Gitter springen, das die Zuschauer vor ihren Tatzen schützen soll, dann kommt denen die Gänsehaut, die direkt dahinter sitzen. Mit dem Sicherheitsabstand des Fernsehapparates sitzt man eben nicht „in der ersten Reihe“, sondern ganz weit weg. Wenn die Löwinnen ihren Dompteur anfauchen, dann hört sich das aus sechs Meter Abstand todernst an. Beruhigend die Feststellung aus dem Programmheft, dass auch dies eingeübt ist. „Hier bin ich der Löwe“, sagt der 23-jährige Martin Lacey, „ich bin ein Teil ihrer Familie“. Seine Löwinnen, die er selbst aufgezogen hat, würden ihn als „funny looking lion“ betrachten, scherzt er. „Bei einer wirklichen Attacke hätte ich keine Chance.“
Atemberaubend auch die wilde Reitertruppe „Iriston“ aus dem Kaukasus. Zentimeter liegen zwischen den Hufen der Tiere und dem Ring aus Kisten, die die Manege begrenzen. Die Reiter klettern unter dem Bauch der galoppierenden Pferde hindurch, springen auf und ab, mal rückwärts sitzend, mal vorwärts – wie Turner an einem Barren.
400 Angestellte hat die Firma „Circus Krone“, 25.000 Euro sind die Kosten pro Tag. Das muss man wissen, wenn man sich über 2,50 Euro für eine Tüte Popcorn wundert. Allein 3.000 Euro kostet täglich das Fressen für die Tiere, 180 Kilo Fleisch am Tag. Früher hatte der Circus zwei Sonderzüge für seinen Tross. Aber das war „zu teuer, zu unzuverlässig“, nun geht alles mit 19 Zugmaschinen über die Straße.
Das Programm, das Krone-Choreograph Gene Reed zusammengestellt hat, ist bunt gemischt. Damit der Pulsschlag sich wieder beruhigen kann, hat das Show-Ballett immer wieder seinen Auftritt. Zur Entspannung der Gesichtsmuskulatur führt der Clown Jimmy Folco, der es sogar schafft, vier eher steife Zuschauer zu einer Jazz-Performance zu animieren. Höhepunkte sind aber dann immer wieder die artistischen Weltklasse-Vorführungen. Da fliegen die Kunstturner in sechs, sieben Meter Höhe in der Kuppel des Zirkuszeltes von Trapez zu Trapez, schon durch die steife Nacken-Haltung kann einem bei den waghalsigen Vorführungen schwindelig werden.
Und der „schnellste Jongleur der Welt“, Mario Berussek, dreht seine silbernen Keulen so schnell vor sich und neben sich und hinter sich und unter sich, dass das Auge des Zuschauers geblendet ist: Wie ein Teller sieht das aus, was da rotiert, die Kontur der Keule verschwimmt aufgrund der Geschwindigkeit, und sind es fünf oder sechs Keulen? Wenn sie fliegen, vermag man das kaum zu sagen, so schnell. Atemberaubend schnell. Mit neun Jahren hat der inzwischen 26-jährige Artist angefangen, übt heute noch täglich vier oder fünf Stunden, und – auch das ist beruhigend in dem echten Zirkus – er schwitzt richtig bei seiner Vorführung. Auch die Konzentration ist ihm an der Stirn abzulesen. Erst der Schweiß macht aus der perfekten Vorführung richtigen Zirkus. Klaus Wolschner
Bis zum 28. August, täglich 15.30 und 20 Uhr, So. 15 und 19 Uhr, Bürgerweide
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